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Was bleibt schliesslich von dem angeblichen Saenger des grossserbischen Reichs, Peter Handke? Nicht nurr der sprachgeladenste Dichter seiner Generation, sondern wie nur ueberragende es sind, ein Episteme-Schaffender (nach dem Wortgebrauch Foucaults), eine Wegscheide des Sehens, Fuehlens und Wissens in der deutschen Literatur.=

Botho Strauss

01. Juni 2006

Was bleibt von dem Gefangenen im Pisaner Kaefig, dem gegen Roosevelt eifernden Faschisten? Es bleibt der ueberragende Rhapsode und Poet, der Matador der Moderne, der reiche Anreger und Talentefoerderer Ezra Pound.

Was bleibt von dem beruechtigten Rechtslehrer Carl Schmitt, dem man Mitwirkung an den Nuernberger Rassengesetzen nachwies? Es bleibt der einflussreichste Staatsrechtler des zwanzigsten Jahrhunderts, der intuitivste Denker ueber Verfassungs- und Rechtsgeschichte, dessen Einfluss weit ueber die Grenzen Deutschlands hinaus lebendig blieb.

Von Heidegger zu sprechen und dabei seine Rolle als brauner Universitaetsrektor hervorzuheben erweist sich inzwischen als Laecherlichkeit. Was bleibt aber von Brecht, einem Dichter, dem die Revolution wichtiger als Menschenleben war und der gegen den blutigen Stalin nur ein wenig Dialektik ins Feld fuehrte? Es bleibt einer, der die Dramaturgie des Theaters nachhaltiger veraenderte als jeder andere europaeische Autor und der noch bis tief in die Mentalitaet und Empfindungskaelte des heutigen Theaters beherrschend wirkt.

Eine Wegscheide des Sehens, Fuehlens und Wissens

Was bleibt schliesslich von dem angeblichen Saenger des grossserbischen Reichs, Peter Handke? Nicht nur der sprachgeladenste Dichter seiner Generation, sondern wie nur ueberragende es sind, ein Episteme-Schaffender (nach dem Wortgebrauch Foucaults), eine Wegscheide des Sehens, Fuehlens und Wissens in der deutschen Literatur.

Wer Schuld und Irrtum nicht als Stigmata (im Grenzfall sogar Stimulantien) der Groesse erkennt, sollte sich nicht mit wirklichen Dichtern und Denkern beschaeftigen, sondern nur mit den richtigen. Wir leben gottlob noch nicht in einer Lea-Rosh-Kultur, in der sich deutscher Geist nur geduckt bewegen soll oder rueckschaudernd erstarren und jede erhobene Stirn, etwa zum Ausschauhalten, als pietaetlos und missliebig angesehen wird.

Aber das allgemein Richtige, ein Gezuecht unserer konsensitiv geschlossenen oeffentlichkeit, ist dennoch ein am Boden schleifendes traeges Ungetuem, wie sehr es sich auch selbst gefallen mag.

Einige andere aber muessen in der Hoehe sich haerter ausbilden und werden selbst aus einer Verrannt- oder Verstiegenheit heraus mehr Gutes unter die Menschen bringen als je tausend Richtige zusammen.

Text: F.A.Z., 01.06.2006, Nr. 126 / Seite 37

Bildmaterial: F.A.Z.-Barbara Klemm

http://www.perlentaucher.de/artikel/3135.html

Author Martin Mosebach defends Peter Handke and accuses the

politicians and diplomats who egged Milosovic on in the Bosnian war.

The feuilletons take up the Sabrow Commission/s report on how to

portray life in communist East Germany. Rights activist Richard

Schroeder says Germany needs a merry monument. The SZ looks into

reports that Adolf Eichmann/s whereabouts were known long before his

abduction. And Elfriede Jelinek admits she/s not intelligent enough

for football.

http://www.signandsight.com/intodaysfeuilletons/796.html

http://www.swans.com/

http://www.swans.com/library/art12/ga209.html

http://heinrich-heine-gesellschaft.de/aktuelles.html


 

Am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen

In der eher klaeglich verlaufenden Debatte um die diesjaehrige Verleihung des Heinrich-Heine-Preises aeussert sich der umstrittene Autor nun selber: Hier die Stellungnahme von Peter Handke zu den Vorwuerfen gegen seine proserbischen Positionen.

Am 20. Mai war Peter Handke der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zugesprochen worden. Am Dienstag haben die Fraktionen des Stadtrats nach Protesten wegen Handkes pro-serbischer Haltung angekuendigt, das Preisgeld zu verweigern.

Ich muss ernsthaft sein und ruhig antworten auf die Vorwuerfe, die mir seit vielen Jahren und jetzt wieder, nach der Zusprechung (und der angedrohten Nicht-Vergabe) des Heinrich-Heine-Preises entgegengehalten werden. Ich muss es fuer die Leser tun, fuer die redlichen Leser — uebrigens eine Tautologie, denn ein unredlicher oder voreingenommener Leser ist nie ein Leser.

Ballern mit Wortgeschossen

Also: Hoeren wir einander endlich an, statt uns aus feindlichen Lagern anzubellen und -zuheulen. Und tolerieren wir die boesen Wesen (?) oder Geister (?) nicht mehr, die im Zusammenhang mit dem tragischen Jugoslawien-Problem weiterhin mit Wort-Geschossen wie =Revisionismus=, =Apartheid=, =Hitler=, =blutige Diktatur= etc. ballern. Lassen wir, was die Kriege in Jugoslawien angeht, alle Vergleiche und alle Parallelen sein.

Vielleicht irre ich mich in den juristischen Termini: aber die schreckliche Antwort, die abscheuliche Rache der serbischen Streitkraefte (nicht nur fuer die Morde in Kravica, sondern auch fuer die waehrend dreieinhalb Jahren in circa dreissig Doerfern um das muslimische Srebrenica begangenen Verbrechen) ist, da sie sich ausschliesslich gegen Soldaten und/oder muslimische Maenner richtete, als =Verbrechen gegen die Menschlichkeit= zu bezeichnen: Nuance, die, Ausnahme unter den sonst so wichtigen =Nuancen=!, fast nicht zaehlt angesichts von Tausenden und Abertausenden bosno-serbischen Verbrechen, ja und ja, gegen die Menschlichkeit.

Und davon abgesehen – und das ist es, was die Leser in ihren Herzen endlich verstehen muessen – sind die Zahlen der jungen und weniger jungen Toten in den bosnischen Kriegen auf allen Seiten, bei den Muslimen, den Kroaten, den Serben, fast auf gleicher Hoehe – warum nicht auch einmal den Friedhof von Visegrad besuchen, den riesigen Friedhof von Vlasenica?

Und vor allem, ich wiederhole es voller Trauer: Ich wollte nie sagen, und habe an keiner Stelle gesagt, das Massaker von Kravica sei =der einzige Genozid= in Bosnien gewesen, sondern ein Verbrechen, auf das dieses Wort zutrifft – es gab andere bosno-serbische, muslimische, kroatische Massaker, die mit diesem Terminus bezeichnet werden koennen.

IBleiben wir bei den Tatsachen eines von einem unredlichen oder wenigstens unwissenden Europa angezettelten oder wenigstens koproduzierten Buergerkriegs, die auf allen Seiten schrecklich sind. Hoeren wir auf, Slobodan Milosevic mit Hitler zu vergleichen.

Hoeren wir auf, in ihm und seiner Frau Mira Markovic Macbeth und seine Lady zu sehen oder Parallelen zwischen dem Paar und dem Diktator Ceausescu und seiner Frau Elena zu ziehen. Und verwenden wir nie mehr fuer die waehrend des Sezessionskriegs in Jugoslawien eingerichteten Lager das Wort =Konzentrationslager=.

Wahr ist: Es gab zwischen 1992 und 1995 auf dem Gebiet der jugoslawischen Republiken, vor allem in Bosnien, Gefangenenlager, und es wurde in ihnen gehungert, gefoltert und gemordet. Aber hoeren wir auf, diese Lager in unseren Koepfen mechanisch mit den Bosno-Serben zu verbinden: Es gab auch kroatische und muslimische Lager, und die dort und dort begangenen Verbrechen werden im Tribunal von Den Haag geahndet.

Ich wiederhole voller Wut

Und hoeren wir schliesslich auf, die Massaker (unter denen, im Plural, diejenigen von Srebrenica im Juli 1995 tatsaechlich bei weitem die abscheulichsten sind) dem serbischen (Para)-Militaer zuzuschreiben. Ich wiederhole aber, wuetend, wiederhole voller Wut auf die serbischen Verbrecher, Kommandanten, Planer: Es handelt sich bei Srebrenica um das schlimmste =Verbrechen gegen die Menschlichkeit=, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde.

ahr ist: Ich war im Juni 1996 zum ersten Mal (und danach noch um die zehn Mal) in Srebrenica und in den ebenfalls zerstoerten serbischen Doerfern ringsum, und habe danach ein kleines Buch geschrieben (=Sommerlicher Nachtrag zu einer Winterlichen Reise=). Wahr ist, dass ich in diesem Nachtrag auch von den bluehenden Baeumen erzaehle, von den Erdbeeren auf den Huegeln um Srebrenica, aber natuerlich (entschuldige, Leser, dass ich mich erklaere, aber die Beschreibung dieser Natur wird mir immer wieder vorgeworfen), um die furchtbare Zerstoerung in und um Srebrenica und die Todesstille noch spuerbarer zu machen.

Und der Kern des Nachtrags: die endlosen Schreie eines serbischen Mannes aus Srebrenica, der, zwischen den Ruinen, am Sommerabend (Schwalben!) zu seinem Haus (?) zurueckkehrt (?) und auf dem Weg gegen sein eigenes Volk anbruellt, sein Volk verflucht und verflucht, und am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen vor lauter Wut und Schmerz.

Hoeren wir auch – endlich – den ueberlebenden der muslimischen Massaker zu, in den vielen serbischen Doerfern um das – muslimische – Srebrenica, jener in den drei Jahren vor dem Fall Srebrenicas wiederholt begangenen und von dem Stadtkommandanten befehligten Massaker, die im Juli 1995 – schreckliche Rache und ewige Schande fuer die verantwortlichen Bosno-Serben – zu dem grossen Gemetzel fuehrten, =dem groessten in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg=.

Auch andere Muetter hoeren

Fuegen wir immerhin hinzu, dass alle Soldaten oder muslimischen Maenner aus Srebrenica, die die Drina – die Grenze zwischen den beiden Staaten – ueberquerten und aus Bosnien in das damals von Milosevic regierte Serbien flohen, dass all diese Soldaten, die in dem =feindlichen= Serbien ankamen, heil blieben – hier, kein Gemetzel, keine Massaker.

Ja, hoeren wir, nachdem wir =die Muetter von Srebrenica= gehoert haben, auch die Muetter, oder auch nur eine Mutter des nahe gelegenen serbischen Dorfes Kravica, wenn sie von dem an der orthodoxen Weihnacht 1992/1993 von den muslimischen Streitkraeften Srebrenicas begangenen Massaker erzaehlt, dem auch Frauen und Kinder zum Opfer fielen (und nur fuer ein solches Verbrechen trifft das Wort =Genozid= zu).

Ich konnte nicht glauben, eine derartige Dummheit tatsaechlich ausgesprochen zu haben

Und hoeren wir auf, die =Sniper= von Sarajewo blindlings mit den =Serben= zu verbinden: Die meisten der in Sarajewo getoeteten franzoesischen Blauhelme sind Opfer muslimischer Schuetzen geworden. Und hoeren wir auf, die (furchtbare, dumme, unverstaendliche) Belagerung Sarajewos ausschliesslich mit der bosno-serbischen Armee in Verbindung zu bringen: Im Sarajewo der Jahre 1992 bis 1995 blieb die serbische Bevoelkerung zu Zehntausenden in zentralen Vierteln wie Grbavica gefangen, die ihrerseits – und wie! – von muslimischen Streitkraeften belagert wurden. Und hoeren wir auf, die Vergewaltigungen ausschliesslich den Serben zuzuschreiben. Und hoeren wir auf mit Worten à la Pawlowscher Hund.

Waehrend der Vorbereitungen des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien war ich mehrfach in Rambouillet, und am Ende, angesichts des voraussehbaren Scheiterns der =Verhandlungen=, des westlichen Diktats, von einem Belgrader Fernsehsender befragt, habe ich das serbische Volk (in meinem Herzen die Bombardierung, die Besatzung und die Lager, vor allem Jasenovac, das Nazi-Kroatien unter der deutschen Besatzung in Jugoslawien 1941 bis 1944) mit dem juedischen Volk verglichen. Und da, in meiner, glaub/ mir, Leser, Leserin, Not, in dem Durcheinander in meinem Kopf, habe ich tatsaechlich einen Satz gesagt, der in etwa lautete =die Serben sind noch groessere Opfer als die Juden...=

Von den deutschen Medien spaeter darauf angesprochen, konnte ich nicht glauben, eine derartige Dummheit tatsaechlich ausgesprochen zu haben — zumal diese Dummheit ueberhaupt nicht zu meinem Gefuehl im Moment des auf Franzoesisch vor der Kamera abgegebenen Statements passte. Unglaeubig hoerte ich das Tonband an — und, indeed, ich hatte auf laecherliche Weise die Worte verwechselt. Aber Achtung! Ich habe mich sofort schriftlich korrigiert — und die deutschen Medien haben meine Korrektur veroeffentlicht — die Frankfurter Allgemeine Zeitung Wort fuer Wort — ohne jeden Kommentar — die schriftliche Richtigstellung meiner Verwechslung wurde damals akzeptiert. Warum jetzt nicht mehr?

Zu meiner Mini-Rede veranlasst

Ja, und ich war in Pozarevac, bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic. Warum, habe ich im Focus vom 27. Maerz 2006 erklaert: Es war die Sprache, die mich auf den Weg brachte, die Sprache einer so genannten Welt, die die Wahrheit wusste ueber diesen =Schlaechter= und =zweifellos= schuldigen =Diktator=, dem noch sein Tod zur Schuld gereichen sollte, weil er sich =vor dem Schuldspruch, ohne Zweifel lebenslaenglich, weggestohlen= habe – warum, fragte ich, bedurfte es da noch eines Gerichtes, um ihn schuldig zu sprechen?

Solche Sprache war es, die mich veranlasst zu meiner Mini-Rede in Pozarevac – in erster und letzter Linie solche Sprache, nicht eine Loyalitaet zu Slobodan Milosevic, sondern die Loyalitaet zu jener anderen, der nicht journalistischen, der nicht herrschenden Sprache.

Verbreitern wir die oeffnung. Auf dass die Bresche nie wieder von schlimmen oder vergifteten Worten verstopft werde. Hinaus boese Geister. Verlasst endlich die Sprache. Lernen wir die Kunst des Fragens, reisen wir ins sonore Land, im Namen Jugoslawiens, im Namen eines anderen Europas. Es lebe Europa. Es lebe Jugoslawien. Zivela Jugoslavija.

Der Text ist eine vom Autor bearbeitete, veraenderte und ergaenzte Fassung zweier Artikel, die in der franzoesischen Tageszeitung Libération erschienen sind und von Anne Weber aus dem Franzoesischen ueber setzt wurden.

Screen Shot: Project BOB


http://perso.orange.fr/calounet/biographies/handke_biographie.htm

http://twylyfe.kultur.at/log/set15/log726.htm

http://ourworld.compuserve.com/homepages/elfriede/

Aus gegebenem Anlass, aber ich habe ihn nicht gegeben, ich habe ja nichts zu geben, und ich habe nichts zuzugeben

(Handke/Heine)

Was soll man sagen? Ich ueberlege, was ich zu Handke sagen koennte, waehrend das Geheul und Gebell rundherum anschwillt. Ich bin versucht damit anzufangen, dass ich politisch in Bezug auf Serbien nicht seiner Meinung bin, dass ich das Eingreifen fremder Maechte bei drohendem Voelkermord, den ich damals am Balkan gesehen hatte, auch voelkerrechtlich gedeckt fand und immer noch finde, aber schon das ist eine Falle, in die ich nicht laufen muesste, nicht einmal duerfte. Ich muss meine politische Position nicht darlegen, um meine Besorgnis ueber die wachsende hysterische Hetze gegen einen Dichter artikulieren zu duerfen. Auch sollte ich nicht eigens drauf hinweisen muessen, dass ich nicht seiner Meinung bin, aber, nein, sterben wuerde ich fuer seine Meinung nicht, das muss nicht sein, es sterben schon viel zuviele, aber dass ich jedenfalls alles taete, damit er diese Meinung aeussern darf. Ich muss auch nicht darauf hinweisen, wie oft Heine seine politische Meinung veroeffentlicht – und wieder geaendert - hat, mit grosser Leidenschaft, und darauf kommt es an. Er hat den Kommunismus begruesst, im Wissen, dass Leute wie er (und ihre Werke) die Ersten waeren, die ihm zum Opfer fallen wuerden. Also da gibt es im Schreiben immer das Trotzdem. Und das Dazwischen. Und dort hinein haben wir uns zu begeben, auch wenn es dort eng wird. Indem wir erkennen, was fuer jeden einzelnen von uns notwendig ist zu sagen. Aber soll nicht mehr drin sein als das zu bejahen, was allgemein Konsens ist, das, was doch nicht zu aendern ist (=gluecklich ist, wer vergisst!=) einfach zu uebernehmen? Was waere das fuer ein Denken, ich meine ein Fortdenken im Hinblick auf das Hinschreiben, das nur im Hinblick auf ein feststehendes Ergebnis denkt und schreibt und nicht dagegen? Dagegen auch, wenn es weiss, dass es vielleicht falsch ist? Das, was von der Allgemeinheit gesagt wird und also gesagt werden muss (der beruehmte Konsens ueber etwas), laesst dem Dichter keine Moeglichkeit mehr uebrig, etwas zu sagen, da alles schon ausgerechnet, zusammenaddiert und saldiert ist. Das, was allgemein und der Allgemeinheit (und die Gemeinheit bereits enthaelt) gesagt werden muss, entscheidet nicht darueber, ob einem Dichter etwas zu sagen noetig scheint, und waere es das absolut Unnoetige, ueberfluessige, Sinnlose. Der Dichter hat, was er zu sagen hat, zu sagen, weil es ihm notwendig ist, es zu sagen, aber er hat nicht das Notwendige zu sagen, sonst haette er gar nichts mehr zu sagen. Sonst haette er nur noch zu erledigen, was erledigt werden muss. Das ist zuwenig.

So, und jetzt darf ich mich endlich Handke und seiner Stellungnahme anschliessen, die Luegen und Halbwahrheiten von der Rechnung abziehen (die rote Rose auf Milosevics Sarg – also wirklich! Vielleicht macht man aus ihm noch einen Sargspringer wie in der grossartigen US-Familienserie =six feet under=!), die laengst getaetigten Klarstellungen noch einmal vom tiefen ins seichte Wasser ziehen, damit man sie genauer sieht (Handke hat das alles selber laengst richtiggestellt, vor allem den entsetzlichen Vergleich des Schicksals der Serben mit der Vernichtung der Juden), das haette man alles laengst nachlesen koennen. Was an dem, was er geschrieben hat, richtigzustellen ist, ist nichts, denn er darf alles schreiben. Was an dem, was er gesagt hat, richtigzustellen war, hat er getan. Mich hat immer gewundert und auch geaergert, dass Handkes Schluesselstueck ueber das ehemalige Jugoslawien, =die Fahrt im Einbaum=, in der Debatte kaum je erwaehnt worden ist. Ich habe das Stueck gelesen und die Auffuehrung in Wien (in der Regie Claus Peymanns) gesehen: In diesem Stueck ist doch alles drin. Es ist doch alles gesagt. Da steht es ja. Es ist mehr (und gleichzeitig weniger) als alles gesagt.

Der Dichter sagt alles, indem er nicht alles sagt, und gerade darin ist alles gesagt. So kann ich mit Handke nur das Mindeste erwarten, was zu erwarten ist, naemlich moeglichst alles zu lesen, was er in den letzten Jahren zum Balkankonflikt und seinen blutigen Kriegen, Nachbar gegen Nachbarn, geschrieben hat. Lesen und dann reden, aber nicht hetzen. Sonst wagt man sich zu weit vor, und dann haben sogar die Hunde, die treuen, einen verlassen (ihr klagendes Gebell hoert man allerdings noch lang), und die guten Geister verlassen einen auch irgendwann, und dann wird es nur noch geistlos.

30.5.2006

Darf gross irren, wer gross dichtet?

Peter Handke ist kein Einzelfall. Immer wieder haben sich Schriftsteller politisch verrannt. Dennoch erwartet die oeffentlichkeit von ihnen eine hoehere Wahrheit. Warum nur? Von Ulrich Greiner

Foto: dpa

Wer gross denkt, muss gross irren=, hat der Philosoph Martin Heidegger gesagt, als man ihm seine Verstrickung in den Nationalsozialismus vorhielt. Der Satz, anstatt Reue zu zeigen, verraet herrischen Hochmut. Zugleich beschreibt er ein Dilemma, dem nicht wenige Dichter und Denker erlegen sind. Wer sich gedanklich in den Bahnen des moralisch und politisch Gebotenen bewegt, ist weniger irrtumsanfaellig als der grosse Denker, dessen Groesse eben darin besteht, dass er das Gehege der praktischen Vernunft und der gesellschaftlichen uebereinstimmung verlaesst, um an den Raendern der Existenz Position zu beziehen. Er gleicht Caspar David Friedrichs Wanderer im Nebelmeer, der von seiner Felsspitze hinab etwas sieht, was wir nicht sehen. Dass er abstuerzen koennte, ist gut moeglich.

Peter Handke, der zu den ausserordentlichen Schriftstellern deutscher Sprache zaehlt, ist ein Wanderer im Unwegsamen, im woertlichen wie im uebertragenen Sinn. Und wie bei den meisten grossen Dichtern ist sein gelegentliches Straucheln oder gar Stuerzen nur die andere Seite verwegener Erkundungen. Wer seine Buecher gelesen hat, ist durch eine Schule des Wahrnehmens gegangen, wie sie schoener, anschaulicher nicht zu finden ist. In seinem Schreiben gewinnt die vernutzte und verschmutzte Sprache wieder einen reinen Klang, der uns, den zumeist gedankenlos Sprechenden, ungewohnt oder fremdartig erscheinen mag.

Der Bilderflut das eigene Bild, der Formlosigkeit die eigene Form entgegenzusetzen ist Handkes Ziel. Er spricht vom =Gesetz=. Als Motto seines Dramas Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit (1997) verwendet er eine Passage aus dem Deuteronomium:=Das Gesetz, das ich dir gebe, geht nicht ueber deine Mittel. Es ist nicht in den Himmeln. Es ist nicht jenseits der Meere. Das Gesetzeswort ist ganz nah bei dir. Es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, damit du es umsetzt in die Tat.=

Seit alters wohnen die Dichter nahe beim Wahnsinn

Diese Vorstellung ist auch Botho Strauss, dem anderen grossen Aussenseiter unseres literarischen Betriebs, sehr vertraut, und das ist sicherlich der Grund, weshalb er im Streit um die Frage, ob Handke den Heinrich-Heine-Preis verdient hat und ob das Votum der Jury, ihn damit auszuzeichnen, gelten soll, fuer Handke Partei ergriffen hat. In einem Beitrag fuer die FAZ stellt er Handke in eine Reihe mit Carl Schmitt, Ezra Pound, Heidegger und Brecht. Deren politisch-moralische Verfehlungen (also auch Handkes Eintreten fuer Slobodan Miloševi

ć) erscheinen Botho Strauss geringfuegig im Vergleich zu den denkerischen und literarischen Leistungen, die sie uns hinterlassen haben. Wer Handke kennt, wird erstaunt sein, ihn in diesem Zusammenhang betrachtet zu sehen. Wahr ist aber leider, dass ihn sein proserbischer Furor in der gegenwaertigen Debatte zu einer Persona non grata gemacht hat, die jeder Unkundige glaubt attackieren zu duerfen.

Botho Strauss sagt:

=Wer Schuld und Irrtum nicht als Stigmata (im Grenzfall sogar Stimulantien) der Groesse erkennt, sollte sich nicht mit wirklichen Dichtern und Denkern beschaeftigen. = Er sieht also im grossen Irren nicht allein den bedauerlichen Fehlgang grossen Denkens, sondern geradezu dessen Bedingung.

Der Gedanke ist weniger abwegig, als er zunaechst erscheint. Wenn wir auf die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts blicken, dann ist die Liste der Schriftsteller, die sich auf sie eingelassen haben, erstaunlich lang. Knut Hamsun, einer der grossartigsten Erzaehler der Moderne, hat fuer Hitler Partei ergriffen; Ezra Pound, eine gewaltige Stimme im Strom der Poesie, fuer Mussolini. Gottfried Benn, Heimito von Doderer haben mit den Nazis sympathisiert. Brecht hat in der beruechtigten Massnahme die Opferung des Individuums fuer das kommunistische Projekt plausibel gemacht. Lion Feuchtwanger hat, waehrend die Moskauer Prozesse tobten, das Loblied der Sowjetunion gesungen.

Und wenn wir einen Schritt weiter zuruecktreten, dann sehen wir Baudelaire und Mallarmé als Denker des Exzesses, Edgar Allan Poe als den Erforscher des Wahnsinns, sehen den Menschenhass bei Flaubert oder Robinson Jeffers, den Antisemitismus bei Céline oder Richard Wagner, wir erschrecken vor den Gewaltfantasien Kleists in der Penthesilea oder Kafkas in der Strafkolonie.

Das politisch und moralisch Bekoemmliche ist in der Regel nicht der Ort, wo grosse Geister sich aufhalten. Das ist nichts Neues. Umso erstaunlicher aber, dass die oeffentlichkeit ihre Naehe, ihren Rat immerzu sucht. Warum werden Schriftsteller, von Hause aus unzuverlaessige Kandidaten, zu allem Moeglichen befragt? Warum haelt man sie in fundamentalen Fragen fuer kompetenter als Taxifahrer oder Apotheker? Eben deshalb, weil wir ahnen, dass sie sich in jenen Abgruenden auskennen, deren Existenz uns zuweilen unangenehm bewusst wird. Die Rationalitaet unserer Selbstwahrnehmung und Selbstorganisation wird erschuettert, wenn das Ungeheuerliche – Mord, Kannibalismus, Genozid – brutal vor Augen tritt. Dann wollen wir wissen, woher das kommt. Dann richtet sich unser Blick auf die Dichter, die seit alters nahe beim Wahnsinn wohnen.

In der ersten Szene von Buechners Drama ueber die Franzoesische Revolution Dantons Tod (1835) sagt Julie:

=Du kennst mich, Danton. = Und der entgegnet: =Ja, was man so kennen heisst. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieb Georg. Aber (er deutet ihr auf Stirn und Augen) da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir muessten uns die Schaedeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. =

Im Dschungel des Menschlichen gibt es keine Wegweiser. Wer sich hineinbegibt, kann darin umkommen. Und nicht selten ist er dann in der Wahl seines Weges nicht mehr frei. Denn das entfesselte, von Konventionen befreite Denken stoesst von selber vor ins Niemandsland des Denkbaren – so wie die legendaeren Entdecker in See stachen, ohne zu wissen, ob und wo sie je ankaemen.

Dass die Literatur in ihren groessten Augenblicken Expeditionen gleicht, deren Ergebnis dem Konsens nicht entspricht, koennten wir eigentlich wissen, und doch gibt sich die oeffentlichkeit immer wieder empoert, wenn sie im Werk bekannter Autoren das Unzutraegliche, das Unheimliche entdeckt. Das ist der Grund, weshalb jene Schriftsteller, die Guenter Grass einmal

=Unterschriftsteller= genannt hat, weil sie gerne unter Aufrufe ihre Unterschrift setzen, hohes Ansehen geniessen. Jede Redaktion kann sie jederzeit anrufen und wird ihren Beitrag zur aktuellen Frage puenktlich erhalten.

Insofern nimmt es nicht wunder, dass jetzt, wie in einem Reflex, viele dieser Autoren Kritik an Handke und der Preisvergabe ueben, waehrend sie doch im Sinne ihres Auftrags, naemlich dem herrschenden Diskurs zu widerstehen, eigentlich haetten sprechen muessen. Sie haben eingestimmt (um den absichtsvoll haesslichen Sprachgebrauch von Botho Strauss aufzunehmen) ins

=allgemein Richtige – ein Gezuecht unserer konsensitiv geschlossenen oeffentlichkeit= . Und wenn er hinzufuegt: =Einige andere muessen sich in der Hoehe haerter ausbilden und werden selbst aus einer Verrannt- oder Verstiegenheit heraus mehr Gutes unter die Menschen bringen als je tausend Richtige zusammen =, dann bricht sich hier der Wunsch nach einer Gefahr Bahn, von der wir nicht wissen, ob ihr das Rettende zuwaechst.

Der Verrat des Intellektuellen beginnt, sobald er nach der Macht greift

Unweigerlich stellt sich also die Frage nach der Verantwortung der Intellektuellen. Das einmal Gedachte, Geschriebene und Veroeffentlichte nimmt seinen Weg in die Welt und saet sich aus. Die Scheidelinie ist dort, wo sie der franzoesische Schriftsteller Julien Benda in seiner beruehmten Schrift Der Verrat der Intellektuellen (1927) gezogen hat: Sie wird ueberschritten, wenn der Intellektuelle politische Handlungsmacht erwirken will und gewinnt. Da beginnt die Verantwortung, und deshalb haben Schmitt oder Heidegger oder Benn Rechenschaft ablegen muessen. Gerechtigkeit hat es hier nicht gegeben, was besonders fuer jene gilt, die dem kommunistischen Terror gedient haben. Sie wurden vergleichsweise milde beurteilt.

Die Gedanken aber sind frei. Auch ihre Veroeffentlichung ist es, darauf muss man bestehen, weil sonst die Gesinnungspolizei freie Bahn haette. Der in der damaligen RAF- und Sympathisantendebatte ins Feld gefuehrte Begriff des Schreibtischtaeters ist irrig, weil alles, was gedacht werden kann, irgendwann auch gedacht wird. Intellektuelle, und Schriftsteller insbesondere, tun generell gut daran, von dem Versuch abzulassen, in die Befehlszentralen vorzudringen. Platons Politeia, wo die Philosophen Koenige werden, ist nicht umsonst Utopie.

Auch deshalb ist die Reihe, in die Botho Strauss seinen Kollegen Handke stellt, ueberaus fragwuerdig. Denn Carl Schmitt und Martin Heidegger haben politische Wirkungskraft im Dienste der Nazis gewollt und zeitweise auch gehabt. Ezra Pound und Knut Hamsun haben sie vielleicht gewollt, aber nicht erhalten. Fuer Peter Handke gilt, dass er seine proserbischen Texte auf eigenes Risiko geschrieben hat, zunaechst klagend und fragend, dann die in seinen Augen einseitig unterrichtenden Medien anklagend. Er handelte als Einzelgaenger, ohne Buendnispartner, vollkommen unstrategisch, unvernuenftig, sich selber am meisten schadend.

Die meistgelesenen Artikel des Tages

Erkenn

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Wir waren ein Einwanderungsland

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Tod eines Schlaechters

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In seinem Gespraech mit der ZEIT (Nr. 6/2006) spricht Handke von der

=anderen Geschichte = und bezeichnet sie als =die Historie der Farben, des Versmasses, der Formen – japanischer Tuschzeichnungen etwa oder romanischer Skulpturen, auch des Geschichtenerzaehlens. Das ist nicht zu realisieren, ausser eben im poetischen Machen. = Frage: =Ist Ihnen das einmal gelungen? = Handke: =Ich erzaehle davon. Darauf geht alles hin, was ich schreibe. Es ist nicht nur Utopie, es ist auch real, das Realste ueberhaupt. Es ist ein Vorschlag, ein Traum von Geschichte. Sonst gaebe es ja auch die Evangelien nicht, gaebe es das Buch Hiob nicht, wenn das Erzaehlen nicht auf eine andere Welt zuginge, auf eine Hinterwelt im besseren Sinne, wie eine Hinterglasmalerei. =

Dies Wort in Handkes Ohr. Was immer seine Verfehlungen im jugoslawischen Tohuwabohu gewesen sein moegen: Wir sollten ihn loben fuer das, was er uns von seinen Expeditionen in die Laender des Himmels und der Erde mitgebracht hat, und ob er dafuer den Heine-Preis bekommt, ist am Ende vollkommen gleichgueltig. Sollen doch die Duesseldorfer Gremien samt Buergermeister und Jury, die sich hinreichend blamiert haben, selber sehen, wo sie nun bleiben.

Seit 1972 verleiht die Stadt Duesseldorf einen Kulturpreis zu Ehren Heinrich Heines. Eine unabhaengige Jury waehlte als Preistraeger 2006 Peter Handke. Weil der im Jugoslawien-Krieg mehrfach die Partei der Serben ergriffen und juengst an der Beerdigung von Slobodan Milošević teilgenommen hat, will eine Mehrheit im Rat der Stadt gegen die Auszeichnung des oesterreichischen Dichters stimmen. Daraufhin erklaerten bereits zwei Mitglieder der Jury ihren Ruecktritt. Eine endgueltige Entscheidung ueber die Preisvergabe soll am 22. Juni fallen.

copyright DIE ZEIT, 08.06.2006

leser-kommentare (7)

= Von mikerol Es gibt verschiedene Handkes..

Als ehemaliger Handke uebersetzer, jetzt Handke

=Kenner= , oft Bewunderer,von seinem Werk geistig = genaehrt= in den letzten zwanzig Jahren wie von keinem anderen i =

Von Colon Darf irren, gross streichen

Mutig abwaegend haben Sie, Herr Greiner, alles Notwendige gesagt. - Gehoert dazu heute schon Mut? Ich fuerchte ein wenig, ja.

=

Von Keetenheuve Wer irrt denn?

Der Artikel suggeriert, Handke irre

=gross= . Wer sagt das denn? Wer bestimmt das? Wer legt das fest? Herr Greiner bleibt die Erklaerung schuldig. =

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 Verbrecher verstehen zu wollen

Der Kuenstler Handke erhebt seine Stimme fuer einen Verfemten. Damit rettet er die Zunft der Schriftsteller Von Martin Mosebach

Bei der heftigen Kritik an Peter Handkes Bekenntnis zu dem toten serbischen Kriegsherrn Milošević faellt auf, wie wenig die politischen und historischen Grundlagen dieser Parteinahme in Deutschland bekannt sind. In Deutschland interessiert man sich nicht besonders fuer oesterreich. Man hat vergessen, dass ein grosser Teil des Balkans fuer Hunderte von Jahren Teil der Habsburger Monarchie war. Fuer die Siegermaechte in Versailles bestand der Hauptgrund fuer die Schaffung eines kuenstlichen, unhistorischen Staates Jugoslawien in der dadurch notwendigen Zerschlagung der Donau-Monarchie. Jugoslawien war das gegen oesterreich gegruendete Land, das dessen imperialen Anspruch fuer immer vernichten sollte. Damit wurde Jugoslawien gleichsam zum Realsymbol aller Kraefte, die dem alten oesterreich, seiner Kultur, seiner historischen Tradition, seiner geistigen Atmosphaere, feindlich gesinnt waren und sind. Diese Feindseligkeit blueht, wie koennte es achtzig Jahre nach dem Untergang der Donau-Monarchie auch anders sein, vor allem in oesterreich selbst. Die gesamte oesterreichische Autorenprominenz pflegt den oesterreichischen Selbsthass, manche davon eher kokettierend, Handke gewiss mit toedlichem Ernst. Gehoert der Selbsthass auch zur Psychopathologie eines Volkes, kann er kuenstlerisch doch interessantere Fruechte bringen als die Selbstverliebtheit.

Dass es Serbiens heilige Sendung sei, oesterreichische und dahinter auch deutsche Machtansprueche auf dem Balkan in die Schranken zu weisen, war darueber hinaus sehr lange wohlgehegte Doktrin der franzoesischen, englischen und nordamerikanischen Aussenpolitik. Das Gedaechtnis der oeffentlichkeit ist so kurz, dass man vergessen hat, wie lange Zeit Milošević brauchte, um seine unverbruechlichsten Verbuendeten in England und Nordamerika von sich wegzubeissen. Schade, dass der amerikanische Botschafter, der Milošević zum Bosnienkrieg ermutigte, nicht zur Beerdigung nach Belgrad gekommen ist. Ein Mann, der dem toten Milošević die Treue haelt, sollte uns jedenfalls lieber sein als die vielen Politiker des Westens, die dem lebenden Milošević seine Verbrechen moeglich gemacht haben.

Und ist nicht auch bedenklich, dass gerade diese Anwesenheit bei der Beerdigung nun so besonders verabscheuungswuerdig sein soll? Gewiss, die beruehmte Dame aus dem griechischen Theben, die den toten Staatsverbrecher gegen strenges Verbot beerdigte, ist zu lange vor Gruendung der SPD geboren worden, als dass ihr Verhalten noch Verbindlichkeit begruenden koennte. Dass die letzte Ehre, die man einem Toten erweist, niemals der Rechtfertigung bedarf, sondern einer jener axiomatischen Akte ist, die das Fundament der Humanitaet bilden, scheint bei gewissen Verteidigern der Menschenrechte nicht mehr verstanden werden zu koennen. Frueh wurde ein Grundwiderspruch der Lehre von den Menschenrechten sichtbar, naemlich dass ihre Feinde als

=Feinde des Menschengeschlechtes= geaechtet werden sollen – so wie Sarastro in der Zauberfloete singt: =Wen solche Lehren nicht erfreuen, verdienet nicht, ein Mensch zu sein.=

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Es gehoert zu den Koenigsvorrechten des Romanciers, denen, die nach allgemeiner ueberzeugung

=nicht verdienen, ein Mensch zu sein =, weil sie dies Menschsein durch ihre Taten verwirkt haben, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Was der Richter, der Politiker, der Historiker, die Feinde und Opfer zu Milošević sagen, mag gegenwaertig einem grossen A-cappella-Gesang gleichen. Fuer den Romancier ergibt sich daraus geradezu die Pflicht, den Fall von der anderen Seite zu betrachten und bis zur Unvernunft auf seinem Recht, den Staatsverbrecher Milošević verstehen zu wollen, zu beharren. Epik ist Vielstimmigkeit, kein Unisono. Der reine Boesewicht ist im Roman eine Schwaeche. Handke rettet geradezu die Ehre seiner Zunft, wenn er – von seinem Trotz und seiner Provokationslust gewiss kraeftig unterstuetzt – als Kuenstler seine Stimme fuer den Verfemten erhebt, grundsaetzlich sozusagen, einfach weil die Einhelligkeit der Verurteilung stets ein schales Gefuehl hinterlaesst. Haette Heinrich Heine die Slawen nicht so tief verachtet, haette er dem serbischen Kampf gegen die =oesterreichische Despotie= zu seiner Zeit gewiss applaudiert.

Sollte das Duesseldorfer Stadtparlament es ablehnen, Peter Handke den Heine-Preis zu verleihen, werden kuenftige Preistraeger sich sagen muessen, dass sie den Preis auch deshalb erhalten haben, weil sie mit den politischen Vorstellungen der jeweiligen Mehrheitsfraktion harmonieren. Nicht alle werden diese Vorstellung als Kompliment empfinden.

Der Schriftsteller Martin Mosebach, geboren 1951, lebt in Frankfurt am Main. Zuletzt erschien sein Roman

=Das Beben =

copyright DIE ZEIT, 08.06.2006

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Idiotie

Botho Strauss nimmt Peter Handke nicht nur in Schutz, er stilisiert ihn gar zum neuesten Maertyrer einer

=Lea-Rosh-Kultur =, in der sich deutscher Geist nur geduckt bewegen soll. Ein Kommentar Von Joerg Lau

copyright Meike Gerstenberg fuer ZEIT online

Wer solche Verteidiger hat, braucht keine Anklaeger mehr: Botho Strauss nimmt seinen Schriftstellerkollegen Peter Handke in Schutz gegen die Kleingeister, die Handke wegen seiner aeusserungen zu den Kriegen in Jugoslawien den Heine-Preis nicht goennen moegen.

In der FAZ stellt Strauss Handke in eine Reihe mit Ezra Pound, dem Mussolini-Bewunderer, mit Carl Schmitt, dem Kronjuristen des Dritten Reiches, mit dem Heidegger der Rektoratsrede von 1933, und mit Bertolt Brecht, der den Massenmoerder Stalin im Namen der Dialektik in Kauf nahm.

Welch eine infame Reihung: Schmitts Beteiligung an den Nuernberger Rassegesetzen, Pounds Judenhass, Heideggers NS-Begeisterung und Brechts Inhumanitaet im Namen der marxistischen Geschichtslogik werden als bedauerliche Irrtuemer grosser Dichter und Denker in einen Sack zusammengepackt. Nebenkosten der Genialitaet, Kollateralschaeden denkerischen Eigensinns. Nachfragen unerwuenscht.

Trotz alledem bleiben, so Strauss, diese Autoren

=ueberragend", = einflussreich", =nachhaltig", =beherrschend". Und so bleibt auch der =angebliche Saenger des grossserbischen Reichs, Peter Handke (...) nicht nur der sprachgeladenste Dichter seiner Generation, sondern wie nur ueberragende es sind, ein Episteme-Schaffender, eine Wegscheide des Sehens, Fuehlens und Wissens in der deutschen Literatur."

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Der

=sprachgeladenste"? Der falsche Superlativ - ausgerechnet dort, wo Handkes Sprachmacht gepriesen werden soll – ist kein Unfall. In Strauss' Text laeuft ganz grundsaetzlich etwas schief. Solch kitschiger Bombast unterlaeuft Strauss immer wieder, wenn er vom Ressentiment davongetragen wird.

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Schuld und Irrtum" sollen wir also als =Stigmata (im Grenzfall sogar Stimulantien) der Groesse" erkennen. Und damit basta! Wer noch Fragen hat, sieht sich als politisch korrekter Spiesser verunglimpft, der =unserer konsensitiv geschlossenen oeffentlichkeit" das Wort redet.

In Wahrheit vertritt Strauss selbst, indem er seinen Genies einen Freibrief fuer politische Idiotie ausstellt, ein denkfaules, geistfeindliches Programm: Ich kann Pounds Bedeutung fuer die moderne Lyrik nicht verstehen, wenn ich in seinem Werk nicht den Selbsthass der Moderne in Gestalt des Antisemitismus wahrnehme. Das Gleiche gilt fuer Schmitt und Heidegger auf ihren jeweiligen Feldern: Schmitts Einsichten ueber Staatlichkeit sind mit seinem Freund-Feind-Denken erkauft. Heideggers

= Kehre" ist ohne seinen vorherigen Flirt mit dem Willen zur Macht nicht zu verstehen. Und werden die zarten Buckower Elegien nicht noch eindrucksvoller und raetselhafter vor dem Hintergrund der Menschenverachtung von Brechts stalinistischer Propaganda in der =Massnahme"?

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Und warum regen wir uns denn ueber Handkes Verkitschung des Serbentums auf, ueber sein kokettes Spiel mit Relativierungen, ueber seinen Auftritt bei der Beerdigung des Massenmoerders Milosevic? Eben weil er ein grosser Dichter ist, der uns in seinen Romanen und Tagebuechern immer wieder

=Stunden der wahren Empfindung" gewaehrt. Wenn wir den Politiker Handke angreifen, verteidigen wir den Dichter. Unterdessen hat er selber in wichtigen Punkten eingelenkt und in der Sueddeutschen Zeitung seine Haltung klargestellt.

Aber Strauss geht es, so muss man befuerchten, auch gar nicht so sehr um die Verteidigung Peter Handkes. Am Ende des Textes stilisiert er Handke zum neuesten Maertyrer (Stigmata!) einer

=Lea-Rosh-Kultur, in der sich deutscher Geist nur geduckt bewegen soll und jede erhobene Stirn, etwa zum Ausschauhalten, als pietaetslos und missliebig angesehen wird".

Deutscher Geist steht also gegen die

= Lea-Rosh-Kultur"? Was ist die Lea-Rosh-Kultur? Das Holocaust-Mahnmal, Lea Roshs Lebenswerk, haelt es den deutschen Geist geduckt? Und wuerde demnach der aufrechte Gang bedeuten, seine hohe Stirn endlich frei zu machen von den laestigen Fragen nach Rassegesetzen und Rektoratsreden? Der deutsche Geist als national befreite Zone? Peter Handke hat es nicht verdient, dafuer in Beschlag genommen zu werden.

copyright ZEIT online 1.6.2006

leser-kommentare (25)

= Von primatenforscher Trefflich laesst sich streiten,

gerade ueber den der nicht zu Wort kommt, ob aus freien Stuecken oder von sich selbst.

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Von Schelmuffsky Die winterliche Reise revisited

Zu einer Zeit, als in Belgrad die Studenten auf die Strassen gingen, um gegen das serbische Regime zu demonstrieren und an deutschen Unis alles erbaermlich still

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Von uff Mitterlichkeit?

Ich war so still, ich wollte stiller werden. Ich wollte ganz und gar verbraucht dann sein. Allein - ich war noch zu bemerken.

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Espresso - oekologisch angebaut und fair gehandelt. tazpresso

Versuch ueber die Geister

Die Debatte um den Heine-Preis (1): Peter Handke nimmt zu den Vorwuerfen gegen ihn Stellung, setzt auf

=dritte Dinge = und hofft, =die schlimmen oder vergifteten Worte = moegen die Sprache verlassen

VON GERRIT BARTELS

Ob die Duesseldorfer Lokal- und die nordrhein-westfaelischen Landespolitiker, die die Vergabe des Heinrich-Heine-Preises an Peter Handke so selbstgewiss verhindern wollen, mit dem Lesen schon begonnen haben? Ob sie sich jetzt noch einmal von ihrer ueberzeugung abbringen lassen,

=dass fuer den Heine-Preis nicht preiswuerdig ist, wer den Holocaust relativiert= , wie das Nordrhein-Westfalens Ministerpraesident Juergen Ruettgers in einer aktuellen Fragestunde formulierte? Ob es hilft, dass Handkes Verlegerin Ulla Unseld-Berkiéwicz gedroht hat: =Wenn es nicht zu einem oeffentlichen Aufschrei fuehrt, dass einer der groessten Dichter derart geaechtet wird, ist das ein Zeichen fuer den drohenden Bankrott unserer Kultur =?

Peter Handke jedenfalls hat, nachdem er am Dienstag in der FAZ kurz richtig gestellt hatte,

=was ich nicht sagte =, gestern in der Sueddeutschen Zeitung zu den Vorwuerfen gegen seine proserbischen Positionen Stellung genommen. Darin schreibt er, nachdem er darum gebeten hat: =Hoeren wir einander endlich an, statt uns aus feindlichen Lagern anzubellen und -zuheulen=, nachdem er darum gebeten hat, =alle Vergleiche und Parallelen = sein zu lassen: =Ich wiederhole aber, wuetend, wiederhole, voller Wut auf die serbischen Verbrechen, Kommandanten, Planer: Es handelt sich bei Srebrenica um das schlimmste ,Verbrechen gegen die Menschlichkeit /, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde.=

Und er erklaert in seinem Text noch einmal, wie es zu seinen irrigen Juden-Serben-Vergleichen und dem in Rambouillet gesprochenen Satz

= die Serben sind noch groessere Opfer als die Juden= kam, wie er seiner Ansicht nach = auf laecherliche Weise die Worte verwechselt= hatte und er sich gleich darauf in der FAZ korrigierte.

Was er nicht macht: davon abzuruecken, auch auf kroatische und muslimische Lager und dort begangene Verbrechen verweisen zu duerfen, auch den ueberlebenden der

= muslimischen Massaker= zuhoeren zu wollen, auch den Serben ein Recht auf Leid und Unrecht zugestehen zu wollen. Handke bleibt sich hier treu, und warum sollte er das jetzt auf einmal nicht mehr tun? Ihm gehe es, so erklaert er seine Teilnahme an der Beerdigung von Milosevic, nicht um Loyalitaet zu Milosevic, =sondern die Loyalitaet zu jener anderen, der nicht journalistischen, der nicht herrschenden Sprache =.

Das kann man naiv finden, so wie seinen Wunsch, die boesen Geister,

=die schlimmen oder vergifteten Worte = moegen doch bitte schoen die Sprache verlassen, als ob Sprache immer nur rein und gut und unschuldig sein koennte!, so wie man das seinerzeit naiv und verwerflich fand, dass Handke sich offenen Auges der Gefahr aussetzte, sich von der serbischen Propaganda instrumentalisieren lassen. Aber ist es gleich illegitim?

Man versteht jedenfalls, wie Handke bewusst in den falschen Geruch von Slobodan Milosevic geriet; man versteht das noch besser, wenn man seine Jugoslawienbuecher liest. Wenn man liest, wie er 1986 in

=Die Wiederholung= ueber den jugoslawischen Karst schreibt, wenn er in =Abschied des Traeumers vom Neunten Land= schreibt, dass er sich =nirgends auf der Welt als Fremder so zu Hause gefuehlt= habe =wie in dem Land Slowenien=. Und vor allem wenn man liest, wie es ihn in =Gerechtigkeit fuer Serbien= und auf seinen Reisen in das ihm bis dahin noch weitgehend unbekannte Serbien =hinter den Spiegel= draengte, wie er nicht nur Gegenbilder zu den von ihm beklagten immergleichen Bildern der West-Medien sehen wollte, sondern =dritte Dinge=. Wie er mit Hermann Lenz =nebendraussen= sein wollte, wie er merkte, dass =jener dritte Blickwinkel, der kaum je vorkam - nicht vorkommen durfte=. Dass es nicht allein mit =nebendraussen= zu tun hatte, dass sich in das Epische und das Wahre seiner Suche auch immer das rein Politische mischte, dafuer hat Handke selbst und oft irritierend gesorgt. Und das hat er selbst in Bezug auf das Ansehen seiner Person zur Genuege erfahren muessen. Bis heute, wo er von Juergen Ruettgers leichthin und falsch als =Holocaustrelativierer= oder einer Duesseldorfer Lokalpolitikerin wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann faelschlichst als Relativierer von =Mord, Vertreibung, Massenfolter und Vergewaltigung = bezeichnet wird.

taz vom 2.6.2006, S. 15, 141 Z. (TAZ-Bericht), GERRIT BARTELS

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Beschaedigt sind alle

Handke-Streit: Das Votum einer Jury sollte respektiert werden

von Elmar Krekeler

Lassen wir Peter Handke an dieser Stelle ausnahmsweise mal in Ruhe. Mit jedem Tag, den die Heine-Preis-Affaere dauert (und sie dauert schon viel zu lange), wird sein Ruf mehr beschaedigt. Dass er sich davon in der oeffentlichkeit je wird erholen koennen, darf man bezweifeln. Das ist bedauerlich. Und zwar ungeachtet dessen, was er ueber Serbien jemals geaeussert hat oder noch aeussern wird.

Kaum mehr erholen wird sich von der Affaere auch der Heine-Preis selbst. Der ist auf unabsehbare Zeit beschaedigt. In diesem Jahr, beschloss der Duesseldorfer Stadtrat, wird er nicht nur nicht an Handke, sondern ueberhaupt nicht vergeben. Ausserdem verordneten sich die Ratsmitglieder etwas, das sie schon haetten einlegen sollen, bevor sie das Chaos anrichteten, ueber das jetzt berichtet werden muss: eine Denk- und Besinnungspause.

Gaenzlich erledigt ist schon jetzt die Heine-Jury in der bisherigen Zusammensetzung. Gestern gaben zwei der Fachjuroren ihren Ruecktritt bekannt. Sigrid Loeffler und der franzoesische Germanist Jean-Pierre Lef

èbvre erklaerten in einem Schreiben den Duesseldorfer Raeten: =Einer Jury, die nicht zu dem steht, was sie selbst beschlossen hat, wollen wir nicht mehr angehoeren.= Sie kritisierten in ihrem Brief aber nicht nur die durch massiven oeffentlichen und medialen Druck zustandegekommene Selbstzerlegung der Jury. Sondern auch eine merkwuerdige Diskrepanz. Einerseits seien die meisten Jurymitglieder unvorbereitet in die Sitzungen gegangen, andererseits seien hinterher ueber Handke haltlose und rufschaedigende Behauptungen in Umlauf gebracht worden. Co-Juror Julius H. Schoeps sprang den Juryexilanten bei. Es koenne nicht akzeptiert werden, =dass die Entscheidung einer Jury, die berufen worden ist, von politischen Instanzen gekippt wird=.

Bei keinem Heine-Preistraeger, so Loeffler und Lefèbvre, sei zur Begruendung je der Wortlaut der Satzung herangezogen worden. Preistraeger aber an den Statuten zu messen, fuehrt meist nicht allzuweit. Wuerde man sich naemlich die Muehe machen, eine Anthologie der Jury-Statuten bundesdeutscher Literaturpreise herauszugeben, es ergaebe sich ein wunderbarer Beitrag fuer die gegenwaertige Diskussion ums Deutsche an sich. Es entstuende das Elendsgemaelde eines Konsenskulturdenkens. Statuten wie die des Heine-Preises sind schwammig, sie sind feinste Auslegeware. Das interessiert aber normalerweise niemanden.

Nur manchmal, gerade dann, wenn alte Rechnungen beglichen werden sollen, wie im Fall Handkes, werden die Statuten hervorgeholt, zusammengerollt (damit man jene Stellen nicht lesen kann, die eine Vergabe durchaus zuliessen) und mit ihnen so lange auf dem vermeintlich unwuerdigen Traeger herumgepruegelt, bis er aufgibt.

Reine Fachjurys nun selig zu sprechen - davor sollte man sich allerdings auch hueten. Die unabhaengige Jury an sich naemlich ist eine Chimaere. Preise stehen nicht fuer sich. Preise stehen untereinander in einem Wettstreit, wollen Karrieren kroenen, Karrieren machen, wollen relevant sein, Resonanz haben. Preise - das sollte jedem Juror klar sein - sollen in vielen Faellen nicht nur den Traeger ehren, sondern auch den Sponsor, den Auslober, die Stadt, das Land, den Verein. Preise dienen der Repraesentation. Preise sollen auch helfen, das Renommee der deutschen Literatur im Ausland zu steigern oder den Schriftsteller vor dem Vergessen zu bewahren. Sie funktionieren gelegentlich sogar als Kuenstlersozialkasse mit anderen Mitteln - auch solches hoert man im Zusammenhang mit dem aktuellen Fall.

ueber derlei Dinge wird in beinahe jeder Jurysitzung diskutiert. Dann waehlt man einen Preistraeger. Den hat man zu verteidigen als Juror oder den Mund zu halten.

Der Autor ist Mitglied u.a. der Jury zum Deutschen Buchpreis und der SWR-Bestenliste.

Artikel erschienen am Sa, 3. Juni 2006

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Bei keinem Heine-Preistraeger, so Loeffler und Lefèbvre, sei zur Begruendung je der Wortlaut der Satzung herangezogen worden. Preistraeger aber an den Statuten zu messen, fuehrt meist nicht allzuweit. Wuerde man sich naemlich die Muehe machen, eine Anthologie der Jury-Statuten bundesdeutscher Literaturpreise herauszugeben, es ergaebe sich ein wunderbarer Beitrag fuer die gegenwaertige Diskussion ums Deutsche an sich. Es entstuende das Elendsgemaelde eines Konsenskulturdenkens. Statuten wie die des Heine-Preises sind schwammig, sie sind feinste Auslegeware. Das interessiert aber normalerweise niemanden.

Nur manchmal, gerade dann, wenn alte Rechnungen beglichen werden sollen, wie im Fall Handkes, werden die Statuten hervorgeholt, zusammengerollt (damit man jene Stellen nicht lesen kann, die eine Vergabe durchaus zuliessen) und mit ihnen so lange auf dem vermeintlich unwuerdigen Traeger herumgepruegelt, bis er aufgibt.

Reine Fachjurys nun selig zu sprechen - davor sollte man sich allerdings auch hueten. Die unabhaengige Jury an sich naemlich ist eine Chimaere. Preise stehen nicht fuer sich. Preise stehen untereinander in einem Wettstreit, wollen Karrieren kroenen, Karrieren machen, wollen relevant sein, Resonanz haben. Preise - das sollte jedem Juror klar sein - sollen in vielen Faellen nicht nur den Traeger ehren, sondern auch den Sponsor, den Auslober, die Stadt, das Land, den Verein. Preise dienen der Repraesentation. Preise sollen auch helfen, das Renommee der deutschen Literatur im Ausland zu steigern oder den Schriftsteller vor dem Vergessen zu bewahren. Sie funktionieren gelegentlich sogar als Kuenstlersozialkasse mit anderen Mitteln - auch solches hoert man im Zusammenhang mit dem aktuellen Fall.

ueber derlei Dinge wird in beinahe jeder Jurysitzung diskutiert. Dann waehlt man einen Preistraeger. Den hat man zu verteidigen als Juror oder den Mund zu halten.

Der Autor ist Mitglied u.a. der Jury zum Deutschen Buchpreis und der SWR-Bestenliste.

Artikel erschienen am Sa, 3. Juni 2006

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Screen Shot: Hyper Lander 2 Classic

 

Trauerwut einer Kampfmimose

Peter Handke mahnt seine Kritiker zur Besonnenheit - und zeigt dabei

einmal mehr, warum er gern ein angegriffener Aussenseiter ist

http://www.welt.de/data/2006/06/02/899416.html

Trauerwut einer Kampfmimose

Peter Handke mahnt seine Kritiker zur Besonnenheit - und zeigt dabei einmal mehr, warum er gern ein angegriffener Aussenseiter ist

von Ulrich Weinzierl

Der oesterreichische Schriftsteller Peter Handke (Archivbild)

Foto: AP

Im medialen Schlachtengetuemmel rund um Peter Handke und den ihm von einer Jury zugesprochenen und von Politikern saemtlicher Parteien verweigerten Heine-Preis haben sich nun zwei gewichtige Stimmen zu Wort gemeldet. Botho Strauss mit einem kollegialen Plaedoyer, das Handke zumindest in eine Bedeutungsreihe, mit Ezra Pound, Carl Schmitt, Martin Heidegger und Bert Brecht stellt. Deren politisch-ideologischen Verfehlungen, so Strauss in der FAZ, stuenden in keinem Verhaeltnis zur kuenstlerisch-geistigen Leistung.

Strauss beantwortet die an uns und sich selbst gerichtete Frage, =was von dem angeblichen Saenger des grossserbischen Reichs= bleibe, kurz und buendig: =Nicht nur der sprachgeladenste Dichter seiner Generation, sondern wie nur ueberragende es sind, ein Episteme-Schaffender (nach dem Wortgebrauch Foucaults), eine Wegscheide des Sehens, Fuehlens und Wissens in der deutschen Literatur.= Die Passage wuerde, von dem seltsamen Superlativ =sprachgeladenst= abgesehen, jedem Nekrolog zur Zierde gereichen.

Auch Peter Handke hat auf bemerkenswerte Weise Stellung zu den gegen ihn erhobenen Vorwuerfen Stellung genommen. Es handelt sich dabei um eine erweiterte Version zweier Artikel, die aus dem Franzoesischen rueckuebersetzt wurden. Sogar eingefleischte Handke-Gegner duerften darin kaum Anstoessiges entdecken, im Gegenteil. Schon in punkto Rhetorik ist es ein Friedensangebot. Leitmotivisch kehren die Beschwoerungsformeln =Hoeren wir einander endlich an= und =Hoeren wir auf= wieder. Handke fordert - ja er bittet fast um - Augenmass und ein Ende der Einaeugigkeit.

Auch zoegert er nicht, das Massaker von Srebrenica eine =ewige Schande fuer die verantwortlichen Bosno-Serben= und ein =Gemetzel= zu nennen: =das groesste in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg=. Wer derlei studiert, muss sich fragen: Wie konnte und kann es geschehen, dass aus dem bewussten Einzelgaenger Handke ein tatsaechlicher Aussenseiter wurde?

Dies ist eine lang zurueckreichende Geschichte. Unerlaesslich waere zudem, eine prinzipielle Voraussetzung zu bedenken. Mit gutem Grund verwies Handke vor kurzem auf seine Schriften zum Thema Jugoslawien und Balkankrieg, beginnend mit =Winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien= (1996). Die Zeitungsfassung hatte freilich =Gerechtigkeit fuer Serbien= als griffigeren, provokanteren Titel gewaehlt. Naturgemaess besteht ein betraechtlicher Unterschied zwischen dem meist nachtraeglich auch in Buechern Publizierten und den uebrigen einschlaegigen aeusserungen Handkes, etwa in Interviews. Vor allem diese, zum Teil von ihm alsbald widerrufen oder korrigiert, hatten fuer Aufregung gesorgt. Seine polemisch-poetischen Reiseberichte wurden dann durch die Brille oft wahrlich skandaloeser Saetze gelesen.

Gewiss hat Handke in einem voellig recht: Ein Schriftsteller ist an seinem Geschriebenem zu messen, darum heisst er schliesslich so. Andernfalls koennte man ihn gleich als Redner oder Dampfplauderer bezeichnen. Doch auch hier gibt es Fragwuerdiges und eines auf Genauigkeit pochenden Sprachkuenstlers unwuerdige Formulierungen. Wohl keineswegs zufaellig vergass Handke bei der Aufzaehlung seiner Texte, die ein angemessenes Bild seiner Position ergaeben, die im Magazin der =Sueddeutschen Zeitung= im Oktober 2002 veroeffentlichte Gerichtssaalreportage vom Haager Tribunal gegen Milosevic. =Keine Frage: Die Untaten auf dem Balkan, begangen so oder so, im Inland und an den Schreibtischen (Schreib-?) im Ausland, haben gesuehnt zu werden.=

Derlei ist, in der Schludrigkeit des Denkens und Fuehlens, schlicht und einfach abstossend. Trotzdem wuerde es wenig bringen, Handkes Arbeiten jetzt wieder Zeile fuer Zeile auf Fauxpas und aergerlicheres abzuklopfen. Der Poet Peter Handke, nahezu eine Berufskrankheit, entspricht dem Typ der Kampfmimose: aeusserst empfindlich, die leibhaftige Sanftmut, kann er - gereizt - von verstoerender Aggressivitaet sein.

Dass er sich im Lauf der letzten eineinhalb Jahrzehnte in seinem Jugoslawien-Komplex bis an die Grenzen der Obsession verrannte, hat vermutlich aus der Kindheit stammende psychologische Ursachen. Von Mutterseite her ist Peter Handke slowenischer Abstammung, sein liebevoll =Ote= genannter Grossvater war ein stolzer oesterreichischer Slowene. Das Fach =Slowenisch= hatte ihm in der Pflichtschule indes nichts als Pflicht bedeutet. Entsprechend duerftig waren seine Kenntnisse. Erst im Erwachsenen erwachten Interesse an und Sehnsucht nach Land und Sprache. Slowenien, den Karst, hat er sich buchstaeblich erwandert, es wurde seine =Geh-Heimat=. Und der Vielvoelkerstaat von Titos Jugoslawien verkoerperte ihm das Ideal scheinbar ungetruebter uebernationalitaet.

Nein, Peter Handke ist damals noch kein wirklicher Experte und Liebhaber Serbiens gewesen. Das kam spaeter, mit dem Zerfall der nicht zuletzt von der Grossvater-Imago des greisen Marschalls zusammengehaltenen Teilrepubliken. Den Slowenen hat er ihr Streben nach Eigenstaendigkeit nie verziehen. =Abschied des Traeumers vom Neunten Land= (1991) markiert den Anfang seines Rueckzugs von Slowenien und der verstaerkten Hinwendung zu Belgrad. Fuer ihn hielten die Serben als einzige dem jugoslawischen Staatsgedanken die Treue. Kroatischen und auch (den viel geringeren) slowenischen Nationalismus verachtete er, den weit gefaehrlicheren der serbischen Fuehrung uebersah er geflissentlich. All seine befremdlichen Aktionen und Reaktionen kommen aus der Mischung von Trauer und Wut ueber den Verlust. Auch ein Abschied davon schiene mittlerweile an der Zeit, ebenso wie jener vom populaeren journalistischen Brauch des Handke-Bashing. Es reicht.

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http://www.taz.de/pt/2006/06/06/a0162.1/text

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Gutmenschentum und Wortverbot

Nie im Leben wuerde unsere Autorin Milosevic am Grab besuchen. Aber Peter Handke, sagt sie, muss man dennoch verteidigen. Ihm den Heine-Preis zu verweigern, ist fuer sie reine Empoerungsgymnastik. Heilung entsteht aber nicht aus Rechthabenwollen

VON MARICA BODROCIC

Ja, wir wissen, wie es geht, das Leben, die Wahrheit und der Wind der Sprache. Wir kaufen uns die Woerter gleich schon aus den Traeumen weg und treiben damit Handel, wie es uns beliebt. Wir sagen Dinge, ohne auf die Wirkkraft des Gesagten zu achten, ohne uns bewusst zu sein, dass die Sprache unseren Verrat an uns selbst am besten archiviert. Wie eine Mathematik des Hohns kommt einem dieser Tage der Umgang mit der Vergabe des Heinrich-Heine-Preises und mit dem Schriftsteller Peter Handke vor.

Unser Gutmenschentum hat eine neue Qualitaet bekommen. Freilich war sie schon immer da. Nur jetzt trauen sich die Leute, laut zu sagen, was sie denken. Sie denken, man koenne einfach mit Menschen verfahren wie mit heissen Kartoffeln. Ist das ein Zufall, in einem Land, in dem man die Leute auch auf ihre Gesinnung hin zu pruefen gedenkt, wenn sie eines deutschen Passes wuerdig sein sollen? Offenbar haelt die Demokratie vieles fuer moeglich, auch das Verbot, auch die Ermessensgrenze fuer gute und fuer schlechte Urteile. Urteile, darin sind sich alle einig, sind etwas Gutes.

In der Literatur, in der guten, wuerde man auf eine solche Haltung pfeifen, sofort, nach den ersten drei Seiten, und das Buch wieder zur Seite legen. Die einen, in der Welt, duerfen sagen, was die Welt ist und wie sie zu funktionieren hat. Die anderen, die sich das wahrhaftige Sagen zum Beruf gemacht haben, duerfen das jetzt nicht. Sie werden mit einem ueblichen Gestus der Empoerung einfach von der Landkarte des Sagens geloescht. Unsere wohlfeile Wegwerfkultur macht diesen Habitus ernsthaft moeglich. Auch Politiker und Jurymitglieder des Heinrich-Heine-Preises halten sich nicht mehr an den allgemein anerkannten Ehrenkodex. Das Plappern ist eine Devise geworden, eine Waehrung ohne Rueckstoss, die Woerter haben Unterroecke bekommen und schmutzige Fuesse und einen ohne das Gewissen schlingenden Mund.

Der verfressenen Rede aber hat sich Peter Handke mit seinem ganzen Werk, von Beginn an, entgegengestellt; wobei das =gegen= nie seine Sache war, sondern immer nur der Blick, das Fuer-die-Welt, Fuer-das-Licht und die Dinge. Einem Autor wie ihm nun den bereits anvisierten Heinrich-Heine-Preis wieder zu entziehen, geht ueber einen Skandal hinaus. Es muss moeglich sein, einem streitbaren Menschen, den Heinrich Heine als Erster haette ueberhaupt einmal eine eigene Preisrede halten lassen, mit Achtung zu begegnen.

Was meint aber das Wort Achtung? Aufmerksamkeit ohne Verlogenheit. Ohne den Anspruch, der eigenen Welthaltung dabei spiessbuergerlich genaue Rechnung zu tragen. Was uns nicht gefaellt, soll auch nicht gesagt sein. Wir haben keine Ohren. Keine Augen. Wollen nicht sehen, was unserem Urteil entgegenwirkt, aber doch wirksam ist. Was auch immer Peter Handke getan, gesagt und vor allem in seinen Buechern geschrieben hat, es hat uns immer angeruehrt, verstoert auch (warum denn nicht!), hat uns meist auch eine Welt geschenkt, einen inneren Blick und die Faehigkeit, unser Inneres groesser zu denken.

Wenn ich auch selbst nicht im Traum daran denken wuerde, Slobodan Milosevic am Grab von dieser Erde zu verabschieden, moechte ich doch die Frage stellen, ob unsere Verlogenheit auch, wuerden wir von Handkes Grabbesuch in Pozarevac in einem Roman gelesen haben, so weit ginge, ihm diesen moralisch zu verbieten? Oder wuerden wir doch wissen wollen, was dies rechtfertigt, warum es geschehen ist - selbst dann, und doch gerade dann, wenn wir dies nicht begruessen. Jede Kopftuchtraegerin in Deutschland und Frankreich muss sich dem Argument unserer Aufklaerung stellen, muss sich an Voltaires Wahrheitsanspruch messen lassen, nach dem, so heisst es, alles getan werde, was dem Anderen die eigene Welt ermoegliche. Nicht das Einverstandensein hat Voltaire zu Voltaire gemacht, nein, dass er bereit war, sogar dafuer zu kaempfen, dem Anderen das Seine moeglich zu machen. Das ist Aufklaerung und das ihr innewohnende Gewaehrenlassen.

Leicht sagt es sich, Handke beleidige mit diesem oder jenem die Opfer des einstigen Krieges und ruecke nun auch die Stadt Duesseldorf in schlechtes Licht. Ja, unsere Angst ist groesser als unser Wissenwollen. Bemerkt auch niemand im so genannten Westen, dass unsere ueberheblichkeit, nun auch schon im Namen der Opfer zu sprechen, eine seelenlose Form eingenommen hat, die zu wahren Handke doch immerhin stets versucht hat.

In der kroatischen Hauptstadt werden derzeit uebersetzungen von Peter Handkes Werk geplant. Der junge mutige Verleger Seid Serdarevic haelt dies offenbar fuer moeglich, sogar in Kroatien, einem Land, das auf Peter Handke gut schimpfen koennte. Und obwohl es ein so kleines und an demokratischer Erfahrung junges Land ist, will es sich dem Gespraech stellen. Natuerlich nicht als solches, als Land, als Volk, aber doch mit seinen Mittlern, den Menschen, wenn auch die Mutigen an den Fingern zweier Haende abzaehlbar sind, aber es gibt sie. Und man traut ihnen schon seit jeher nicht zu, Voltaire im Original zu lesen. Und nicht nur das: zu inhalieren. Die Freiheit wird gewollt. Auch wenn sie noch in schweren Ketten liegt. Aber sie wird moeglich gemacht, moeglich durch Menschen, die sich nicht scheuen, gegen den Strom zu schwimmen, und die genau wissen, dass sie sich dabei einen grossen Muskelkater holen werden.

Die Politiker wissen es besser. Sie denken noch immer in der Vergangenheitsform, und es kommt einem vor, als interessiere sie ueberhaupt keine Form von Heilung oder Erneuerung. Allein deshalb, betrachtet man den Schritt des kroatischen Verlegers, ist die ganze deutsche (und franzoesische) Debatte so schaedlich. Es ist vielleicht fuer uns, die wir hiesige Politiker sind, nicht wichtig, dass das alles in Kroatien moeglicherweise noch mehr Engstirnigkeit und Schwarzweissmalerei foerdern wird. Aber was kuemmern uns die Menschen, die dort leben, wir wollen eine eigens fuer uns reine Stirn haben! Und sagen koennen, dass wir mal an die Opfer gedacht haben, bevor wir unsere Diaeten und Gehaltserhoehungen fuer einen Wochenendausflug investiert haben, bei dem es Champagner und geraeucherte Schafe, Ziegen, Laemmer gab. Politiker, ja, die gehen in Rente.

Aber die Menschen vor Ort, jene, die mit ihren Nachbarn leben muessen, sind nicht so schnell mit einer deutschen, franzoesischen, englischen Pension gesaettigt. Sie koennen nicht sagen, jetzt haben die Gruenen verloren und die SPD ist nicht mehr unser Koalitionspartner und wir haben jetzt eine Kanzlerin an der Macht. Nein!, die Menschen vor Ort haben ihre Wunden, Wunden, die keine Grenzen haben, die ein Gedaechtnis werden, die auch in zehn, fuenfzehn, zwanzig, fuenfzig Jahren noch immer fortwirken und mit einem Mal einem anderen, traurigen armen Menschen das schreckliche Recht geben werden, zu den Waffen zu rufen. Wir, die wir uns so stolz und so wissend Europaeer nennen, wir haben nichts von der Geschichte und unserer Verantwortung in ihr verstanden. Wir polieren unsere Gesichter und Woerter immer noch mit einem alten Schminkreflex zurecht. Wir geben Ratschlaege, ja, im Schlagen sind wir Meister! Wir denken, wir sind gute Menschen, wenn wir es nicht erlauben, dass Opfer in unserem Namen beleidigt werden.

Hat einer der nun reumuetig gewordenen Jurymitglieder die Menschen vor Ort, in Kroatien, in Bosnien, in Serbien, im Kosovo, in Makedonien besucht? Einer der Duesseldorfer Politiker, die eine autonome Juryentscheidung nun durch einen Beschluss unterwandern, je einem beinlosen Kind in die Augen gesehen? Einer Baeuerin aus Serbien beim Kuhmelken zugeschaut? Das kroatische Binnenland bereist, die Haeuser gesehen, an denen nur das Wetter eine Handschrift hinterlassen hat?

Peter Handke hat all das getan, auf seine, dem schreibenden Menschen gemaesse Art. Was unsere moralische Empoerungsgymnastik nie geschafft hat, wird sein Werk laengst in Bewegung gebracht haben. Und wir sehen es auch; von heute aus betrachtet, begreifen wir, wie unsinnig es war, die serbischen Menschen aus der Luft zu beschiessen, Bruecken zu zerstoeren und Feindschaft zu saeen. Wen machen die Serben fuer all das verantwortlich? Selbstverstaendlich insgeheim die Kroaten. Und das kann uns in Duesseldorf wirklich ganz egal sein, wir hoeren nur in den Nachrichten, dass =da unten=, wie wir uns so oft ausdruecken, wieder der Teufel los sei. Der Teufel, den wir selbst mitgemalt haben. Spricht man mit jungen Menschen in Zagreb, so findet sich kaum einer, der das Nato-Bombardement begruesst haette, kaum einer noch, der sich im Namen von Tudjman an irgendeine blutdurchtraenkte Grenze legen und blind drauf losschiessen wuerde.

Aber im Westen ist es noch immer Konsens, die Beschiessung Serbiens ist noch immer im Bewusstsein der Politiker ein politisch korrekter Akt. Wie kriegen wir das in unserem Weltbild zusammen? Wie koennen wir tatsaechlich einem Menschen, der, natuerlich mit vielen Widerspruechen (wer widerspricht sich nicht?), der uns auf all das alleinstehend auf grosser Flur aufmerksam gemacht hat, allen Ernstes wieder den Heinrich-Heine-Preis aberkennen wollen?

Das blosse Daherreden ist zum eigenartigen Gefuchtel geworden. Es ist traurig, dass es uns nur um unseren guten Ruf geht. Und eben nicht um die Menschen. Wer interessiert sich fuer sie nach den Debatten? Wir, die Hueter des Wissens und des Rechtes, wir, die wir so viel zu wissen glauben, sollten wirklich erst einmal Leser werden, bevor wir so viel Unbrauchbares, so viel Schaedliches sagen. Das darf am Ende niemals einfach nur ein dummes Einverstandensein mit sich bringen. Wir muessen widersprechen. Aber mit den Mitteln der Sprache und der Freiheit, nicht mit ihren Gegenspielern, den Verboten.

Das wirkliche Reden und Sagen beginnt aber erst, wenn wir es uns leisten koennen, angstlos zu sein und den Anderen aussprechen zu lassen. Wenn wir Abstand nehmen von den Verboten, die doch nur verraten, dass wir nicht Faehige des Wortes sind. Wir koennen es nicht verkraften, die Wahrheiten, jede fuer sich, jede einzelne stehen zu lassen. Dass Politiker das nicht koennen, das ist leider ein laengst bekannter Gemeinplatz. Aber Menschen, die dem Namen Heines genuegen wollen - und das wollen sie wohl, wenn sie in seinem Namen einer Jury beiwohnen -, sind dabei allerdings ein deutsches Novum. Auch das ist eine Kultur der Luege, eine Zuechtung der Eitelkeiten. Welche Devisen haben wir noch, nach den Zerstoerungen und oeffentlichen Onanien? Koennen wir wirklich so gut schlafen und sicher sein, dass nicht die Diktatur am Ende in den Fluren unserer eigenen Traeume sitzt und Daeumchen dreht und dumm dreinschaut, am Ende, so ganz nebenbei, mit unseren eigenen Augen?

Marica Bodrocic wurde 1973 in Dalmatien, dem heutigen Kroatien geboren. Sie ist Schriftstellerin und lebt seit 1983 in Deutschland. Ihr letzter Roman =Der Spieler der inneren Uhr= erschien bei Suhrkamp

taz vom 6.6.2006, S. 17, 372 Z. (TAZ-Bericht), MARICA BODROÈIÆ


 

er Rang der Dichter

Peter Handke und der Streit um den Heine-Preis: Schon oft haben in der Vergangenheit Proteste gegen Jury-Entscheidungen bei Dichterehrungen zu Blamagen fuer die Protestierenden gefuehrt

VON JueRGEN BUSCHE

Wie klug muss ein Dichter sein? Schon das Wort weckt Zweifel. Als die Gruppe 47 sich 1967 in Saulgau traf, um, wie stets seit 1947, aus entstehenden Buechern zu lesen und darueber zu streiten, wurden sie von aufbegehrenden Studenten empfangen, die ebenfalls herangereist waren, um den Beruehmten ihr Schweigen zu aktuellen politischen Fragen vorzuwerfen. =Dichter, Dichter!=, riefen sie hoehnisch und wollten damit sagen: =Schlafmuetzen, Schlafmuetzen!=

Eine Schlafmuetze zu sein, gewesen zu sein, ist wahrhaftig nicht der schlimmste Vorwurf, den deutsche Schriftsteller bislang einstecken mussten. Und gerade die Beruehmtesten von ihnen, Thomas und Heinrich Mann, unternahmen ihre ersten publizistischen Gehversuche in einem Hetzblatt der Antisemiten. Gerhart Hauptmann endete in der Naehe von ihnen. Umgekehrt fanden ueberraschend viele deutsche Dichter ihre letzte Ruhestaette im Ausland, sie waren daheim nicht wohlgelitten, in Deutschland nicht, in oesterreich nicht. In Frankreich lebt seit vielen Jahren der oesterreicher Peter Handke. Er muesste das nicht tun. Er will es so.

Niemand kann sagen, Handke habe diesseits des Rheins wegen seiner heftigen Parteinahme zu Serbien Unbill zu erdulden gehabt. Als der Kaerntner mit seinen befremdlichen Liebesbekundungen fuer Serbien und seinen Diktator begann, organisierte Siegfried Unseld, besorgt um das Ansehen seines Autors und des Suhrkamp-Verlags, eine Lesereise, fuer die grosse Theatersaele angemietet wurden. Zitternd machte sich Handke auf den Weg. Aber schon auf der ersten Station, in Hamburg, merkte er nach wenigen Sekunden, dass die Leute im Parkett enthusiastisch auf seiner Seite waren. Aber nicht, wie man bald auch bemerken konnte, auf Seiten des Serbienpropagandisten, sondern auf Seiten des Dichters, dessen Buecher geschaetzt werden.

=Nur Narr, nur Dichter= lautet eine Formel Friedrich Nietzsches. Man kann im Dichter auch den Narren verehren, der sprichwoertlich das Privileg hat, die Wahrheit zu sagen. ueber die Wahrheit streiten sollen dann andere, nicht die Dichter. Die anderen sind dann unter Umstaenden schlechter dran. Die krassesten Faelle intellektueller Verirrungen im Politischen sind in Deutschland mit den Namen Gottfried Benn, Martin Heidegger, Ernst Juenger und Carl Schmitt verbunden. Alle vier engagierten sich fuer kurze Zeit mit dem verbrecherischen nationalsozialistischen Ungeist. Schmitt verkroch sich hernach hinter ein Paravent aus katholischer Theologie, Heidegger nahm die Rolle eines alles verraetselnden Hoelderlin-Fundamentalisten an.

Benn und Juenger dagegen beschieden die oeffentlichkeit barsch: Was geht euch das an! Und hatten Erfolg damit. Sie feierten mit ihren Buechern Triumphe und duepierten ihre Gegner durch Nichtbeachtung. Gottfried Benn erhielt 1951 den Buechner-Preis, der sich hernach zum symptomatisch wichtigsten Literaturpreis der Bundesrepublik Deutschland entwickeln sollte. Ernst Juenger erhielt in den 80er-Jahren - allenthalben waren die Intellektuellen der 68er Generation schon in wichtige aemter gelangt - den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt. Dagegen erhob sich noch Protestgemurmel wegen des Namens Goethe. Aber eine von den Gruenen veranstaltete Diskussion, die Joschka Fischer leitete und Daniel Cohn-Bendit im Publikum lebhaft mitgestaltete, zeitigte eine bunte Szene, die keineswegs zum Tribunal wurde.

Proteste gegen Jury-Entscheidungen bei Dichterehrungen haben in der Bundesrepublik meist zu Blamagen fuer die Protestierenden gefuehrt. Das war im Fall von Georg Lukacs nicht anders als im Fall von Anna Seghers. Den beruehmtesten Fall einer Jury-Schelte gab es in Bremen, als Guenter Grass ausgezeichnet werden sollte. Der Preis war nach dem Dichter Rudolf Alexander Schroeder benannt, der fuer sein Wirken von 1933 bis 1945 der inneren Emigration zugerechnet wurde und den Theodor Heuss in den 50er-Jahren beauftragt hatte, eine neue Nationalhymne fuer die neue Republik zu verfassen. Daraus wurde nichts.

Die Bremer Politiker wollten Grass allerdings weniger aus Gruenden politischer Meinungsunterschiede nicht geehrt sehen als deshalb, weil sie die =Blechtrommel= fuer Schweinkram hielten, der mit dem Rang des Preisnamensgebers nicht vereinbar sei. Freunde von Grass verschweigen heute lieber, dass Bremen auch damals von der SPD regiert wurde. Der politische Eiferer Heinrich Boell wurde einst von Dolf Sternberger fuerchterlich abgestraft. Gleichwohl zweifelte kaum einer daran, dass er den Literaturnobelpreis zu Recht erhalten hatte. Auch bei Grass stellt den niemand in Frage.

Duerfen Dichter also machen, was sie wollen? In gewisser Weise ist das so. Davon hat auch Bert Brecht profitiert, der Stalin zeitweise nicht weniger zugetan war als Handke Milosevic, aber selbstverstaendlich zu klug war, nach dem Verlassen Deutschlands nach Moskau zu gehen. Und Handke denkt ja auch nicht daran, seinen Wohnsitz statt in einem Vorort von Paris in der naeheren oder weiteren Umgebung von Belgrad zu nehmen.

Klug sind sie also schon auch, die Dichter. Nur beim Politischen darf man nicht so genau hinschauen. ueberraschenderweise will das auf Dauer auch niemand. Das entscheidende Kriterium ist stets, ob der Dichter seine Popularitaet seinen politischen Parteinahmen verdankt oder ob die Aufmerksamkeit, die seine politischen aeusserungen finden, auf seinen Rang als Dichter zurueckzufuehren ist. Bei Peter Handke ist sicherlich Letzteres der Fall.

taz vom 30.5.2006, S. 17, 197 Z. (Kommentar), JueRGEN BUSCHE

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Mehr zum Thema finden Sie im taz-Archiv (seit 1986)

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Konsensrepublik

Peter Handke soll den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf nicht bekommen. Die Debatte um Handke, das Verhalten von Jury-Mitgliedern und Politikern zeigen vor allem eines: Die Unfaehigkeit, mit einem Dichter umzugehen, der sich der herrschenden Meinung und der geforderten Eindeutigkeit verweigert

von Volker Corsten

Peter Handke

Foto: dpa

=Wohlbemerkt: hier geht es ganz und gar nicht um ein: ,Ich klage an.= Es draengt mich nur nach Gerechtigkeit. Oder vielleicht ueberhaupt bloss nach Bedenklichkeit, Zubedenken-Geben.= Das schrieb Peter Handke in einem Essay, der am 13. Dezember 1996 in der Wochenendbeilage der =Sueddeutschen Zeitung= veroeffentlicht wurde.

Der Essay trug einen nicht nur damals, sondern offensichtlich noch heute empoerenden Titel: =Gerechtigkeit fuer Serbien=. Handke selbst nannte seinen =Reisebericht= in einem =Zeit=-Interview =Wort fuer Wort einen Friedenstext. Wer das nicht sieht, kann nicht lesen.=

Viele konnten nicht - und hatten auch bei spaeteren Texten, Reden und Handlungen des Dichters ihre Verstaendnisprobleme. Handke besucht 2005 Slobodan Milosevic in seiner Zelle, schreibt darueber einen Essay. Unverstaendnis. Handke reist 2006 zur Beerdigung von Milosevic, redet dort. Fassungslosigkeit.

Nun sollte ausgerechnet dieser Peter Handke, der =Freund des serbischen Volkes= (Handke ueber Handke), dessen Texte offenbar sehr wenige gelesen, dessen Handlungen aber noch weniger verstanden haben, den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Duesseldorf bekommen. Sollte, denn seit dieser Woche scheint klar - er bekommt ihn nicht.

Aber der Reihe nach: Am 22. Mai verkuendete die Stadt, dass die Jury den Heinrich-Heine-Preis, mit 50 000 Euro zum hoechstdotierten seiner Art aufgestockt, im Jahr des 150. Todestages des Dichters an Peter Handke vergibt. Die Begruendung der Jury: =Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Dann brach der Sturm los.

Feuilletonisten, Leitartikler und Politiker (Daniel Cohn-Bendit: =der helle Wahn=) protestierten, ehemalige Preistraeger wie Guenter Kunert zeigten sich entsetzt, einzelne Juroren distanzierten sich von der Entscheidung, die sie selbst unterschrieben haben, etwa der Historiker Christoph Stoelzl.

Am 1. Juni dann kuendigten die Fraktionen von SPD, FDP und Gruenen, die im Duesseldorfer Rathaus die Mehrheit haben, an, dass sie in der Sitzung vom 22. Juni die Preisverleihung verhindern wuerden. Der Rat der Stadt muss, voellig absurd, die Wahl bestaetigen. Begruendung: =Wir sind der Auffassung, dass Handke sich mit seinem oeffentlichen Verhalten einem autoritaeren, verbrecherischen Regime angedient hat.= Handke sei eines Preises unwuerdig, der Personen auszeichnen soll, die =der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten=. Der Duesseldorfer Kulturausschuss plaedierte Freitag fuer eine =Bedenk- und Gesinnungspause= (was fuer ein Wort!), als ob ein Gesinnungswechsel den Schaden beheben koenne.

Und eine Bedenkpause? Viel gedacht haben sich gerade die Politiker der Stadt, die in der Jury sitzen, offenbar auch vorher nicht. =Bei der Diskussion stellte sich rasch heraus, dass die meisten Juroren unvorbereitet waren und sich offensichtlich nicht einmal mit den Dossiers vertraut gemacht hatten, die ihnen seit Tagen vorlagen=, schrieben zwei Jury-Mitglieder, die =Literaturen=-Chefredakteurin Sigrid Loeffler und der Pariser Literaturwissenschaftler Jean-Pierre Lefebvre, in einer Erklaerung.

t der gaben sie Freitag ihren Rueckzug aus der Jury bekannt. Sie betonten in ihrer Erklaerung, dass der Heine-Preis - wie die vorherigen Preistraeger W. G. Sebald, Elfriede Jelinek und Robert Gernhardt zeigten - ein =literarisches Profil= habe, =alle Preistraeger fuer ihr literarisches Werk im Sinne Heines= geehrt wurden. Sigrid Loeffler gilt als treibende Kraft bei der Entscheidung fuer Handke.

Dass die ganze Sache mehr als peinlich ist, fuer die Stadt, die Juroren, die Politiker und letztlich auch fuer Peter Handke selbst, ist klar; dass der Preis kaum noch erstrebenswert ist, ebenfalls. Die Verteidiger Handkes sind =entsetzt= (Elfriede Jelinek) oder sprechen von =Zensur= (Marlene Streeruwitz). Handke selber hatte 1999 - wegen des Bombardements Belgrads durch die Nato - den Buechner-Preis zurueckgegeben und gesagt, er werde keinen Preis mehr annehmen, weil er oeffentlich =sein Idiotentum= niemals mehr zeigen wolle.

Fuer Heine aber macht er eine Ausnahme - und er kaempft um den Preis und seine Reputation - nicht nur als Dichter. Denn zu einem der ewigen Mantren, die dadurch nicht wahrer werden, gehoert die Beurteilung Handkes als grosser Dichter, aber unzurechnungsfaehiger Beschreiber der politischen Gegenwart. Letztere heisst in Handkes Fall: Serbien.

Dass Handke sich selbst fuer satisfaktionsfaehig haelt, dass er sehr genau die Zeitungen verfolgt, belegt dagegen nicht nur seine Kritik an der =veroeffentlichten Meinung=, die er in Interviews, Essays oder Theaterstuecken formuliert (etwa in =Die Fahrt im Einbaum - Das Stueck zum Film vom Krieg=, 1999). Es zeigte sich auch diese Woche, als Handke gleich zweimal versuchte, seine Ehre zu retten - nicht als Dichter, sondern als politischer Kopf. Am Donnerstag mit einem laengeren Text in der =SZ=, am Dienstag in der =FAZ= mit einem kuerzeren Versuch, =einige Richtigstellungen= zu machen: =1. Ich habe nie eins der Massaker in den Jugoslawienkriegen 1991-95 geleugnet oder abgeschwaecht, oder verharmlost, oder gar gebilligt. 2. Nirgendwo bei mir kann man lesen, ich haette Slobodan Milosevic als =ein= oder =das Opfer= bezeichnet. 3. Richtig ist: Anlaesslich des okzidentalen Diktats gegen Jugoslawien von Rambouillet, im Februar 1999, habe ich mich vor der Kamera des Belgrader Fernsehens verhaspelt, wobei herauskam, in meinem Franzoesisch, die Serben seien noch groessere Opfer als die Juden - was ich dann, nachdem ich, unglaeubig, das Band mit dem von mir produzierten Un-Sinn angehoert hatte, schleunigst schriftlich korrigierte.=

Das moegen Handkes Gegner nicht hoeren und erst recht nicht glauben. Wer sich allerdings die Muehe macht, Handkes Texte, Essays und Interviews zu Serbien zu lesen, der wird feststellen, was Politiker und Leitartikler, die wenig Zeit, aber viele Schubladen im Kopf haben, nicht sehen wollen. Handke hat in diesen Punkten recht. In seinem inkriminierten Reisebericht =Gerechtigkeit fuer Serbien= etwa heisst es: =,Du willst doch nicht auch noch das Massaker von Srebrenica in Frage stellen=, sagte S. bei meiner Rueckkehr. =Nein=, sagte ich. =Aber ich moechte erklaeren, wie ein solches Massaker zu erklaeren ist.==

In seinem Essay =Die Tablas von Daimiel= (=Literaturen=, 2005) ueber seinen Besuch bei Milosevic im Gefaengnis von Den Haag erzaehlt Handke, er habe Milosevic selber in dessen Beisein eine =tragische Person= genannt, was Milosevic =fast irritierte=. Die Sympathie fuer die Figur Milosevic mag abstossen, ein =Opfer= hat er ihn nie genannt.

nd der unsaegliche Vergleich zwischen Serben und Juden mag unglaubhaft klingen bei dem 64jaehrigen, der seit 1991 in Chaville bei Paris lebt, der mehrere Buecher aus dem Franzoesischen uebersetzte und in franzoesischen Zeitungen publiziert. Er hat ihn aber in der Tat umgehend korrigiert.

Peter Handke macht es den Schubladendenkern der Konsensrepublik Deutschland nicht leicht. Er entzieht sich mit seiner Sprache beharrlich der Eindeutigkeit, er verstoert mit seinem Beharren, in Slobodan Milosevic mehr als ein Monster zu sehen.

Peter Handke spielt also staendig, aus =Lust und Wut= (Handke), mit dem Feuer - und produziert Bilder und Saetze, die ungeheuerlich wirken und klingen: Da gibt es dieses Bild von ihm, mit einer Rose in der Hand am Grab von Milosevic. Darauf angesprochen, antwortete er im =Focus= am 27. Maerz 2006: =Auf den Tod Slobodan Milosevics habe ich, anders als die sogenannte Allgemeinheit, an deren Allgemeinheit ich nicht glaube, nicht =mit Genugtuung= reagiert, zumal das Tribunal den seit fuenf Jahren in einem angeblichen =Fuenf-Sterne-Gefaengnis= (,Libération=) Verwahrten erwiesenermassen hat sterben lassen.= Er habe nicht vorgehabt, zum Begraebnis zu reisen, sei dann aber - von der Familie eingeladen - doch hingefahren. Der Grund: =Mehr waren es die Reaktionen der durchweg feindlichen Westmedien. (...) Nein. Sl. M. war kein =Diktator=. Nein, Sl. M. hat nicht =vier Kriege auf dem Balkan angezettelt=. Nein, Sl. M. hat nicht als =Schlaechter von Belgrad= bezeichnet zu werden. Nein, Sl. M. war nicht =zweifellos= schuldig.=

Das mag scheusslich klingen, verbohrt, ewiggestrig. Es passt aber in Handkes Feldzug gegen das kaum mehr hinterfragte Wiederholen von Urteilen ueber Personen oder Sachen in den Medien.

Was Handke dabei aber schuetzt, ist sein Wissen um das Befangensein, die eigene Fehlbarkeit. Handke macht nie einen Hehl daraus, dass seine Trauer ueber den Zerfall Jugoslawiens, seine Parteiname fuer =das Volk der Serben= eine subjektive ist, er keine politischen oder gar oekonomischen Gruende gelten laesst.

Der Wanderer Peter Handke, 1942 in einem Dorf in Kaernten geboren, Vater Deutscher, Mutter Slowenin, bezeichnet Slowenien in =Abschied des Traeumers vom Neunten Land= als seine =Gehheimat=, als ein in seinen Augen schon immer eigenstaendiges Land, dessen Eigenstaatlichkeit er deshalb nicht verstehe. In =Gerechtigkeit fuer Serbien=, einem durchaus differenzierten Text, erzaehlt er von seiner =Phantomangst= vor dem Zerfall von etwas, das fuer ihn zusammengehoert: Jugoslawien. Abschliessend stellt er sich die Frage: =Hat es meine Generation bei den Kriegen in Jugoslawien nicht verpasst, erwachsen zu werden? (...) Erwachsen nicht wie die so zahlreichen, selbstgerechten, meinungsschmiedhaften und dabei so kleingeistigen Mitglieder der Vaeter-und-Onkel-Generation, sondern erwachsen wie? Etwa so: Mit jenem einen Goethe-Wort: =Bildsam=, und als Leitspruch vielleicht desselben deutschen Welt-Meister Reimpaar =Kindlich/Unueberwindlich=, mit der Variante Kindlich-ueberwindlich.=

Peter Handkes Texte und Ansichten sind nicht so tumb, wie sie oft dargestellt werden. Sie sperren sich gegen das Eindeutige, politisch Korrekte, gegen den Konsens, den etwa Guenter Grass mit seinen ewigen Bush-ist-doof-Reden verkoerpert, die zwar von Kollegen bejubelt werden, aber niemanden nachdenklich machen.

Artikel erschienen am 4. Juni 2006

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Sieg der Vernunft in letzter Minute

Die Fraktionen im Duesseldorfer Rathaus kippen die Verleihung des Heinrich-Heine-Preises an Peter Handke

von Tilman Krause

Ein Glueck, dass es in diesem Lande wenigstens vernuenftige Politiker gibt. Sie und nicht die Schriftsteller, die sich in der vergangenen Woche in Berlin so lauthals gefeiert haben, sie und nicht die Intellektuellen, die fuer sich so gern Durchblick und moralische Hoeherwertigkeit in Anspruch nehmen, nein, Politiker haben jetzt dafuer gesorgt, dass jene Entscheidung zurueckgenommen wird, die man von Anfang an nur als abwegig, ja absurd bezeichnen konnte. Die Entscheidung naemlich, dem in politischer Hinsicht unzurechnungsfaehigen Autor Peter Handke den Heinrich-Heine-Preis zuzuerkennen. Einen politischen Preis, einen Preis, der ausdruecklich nicht fuer genuin literarische Qualitaeten zuerkannt wird (Qualitaeten, die man Peter Handke nicht absprechen wird). Vielmehr soll der Heinrich-Heine-Preis Persoenlichkeiten auszeichnen, =die den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammenhoerigkeit aller Menschen verbreiten=.

Die Politiker, die dem unwuerdigen Gezerre der letzten Tage ein Ende bereiten, sind die Mehrheitsfraktionen von SPD, FDP und Gruenen im Duesseldorfer Rathaus. Namens ihres Sprechers, des Geschaeftsfuehrers der FDP-Ratsfraktion Neuenhaus, haben sie ihren Beschluss wie folgt begruendet, mit Ruecksicht auf Handkes wieder und wieder vorgebrachtes Bekenntnis zu dem Diktator und Menschenrechtsverletzer Milosevic: =Wir sind der Auffassung, dass Handke sich mit seinem oeffentlichen Verhalten einem autoritaeren, verbrecherischen Regime angedient hat.= Ausdruecklich wird von den Politikern auch die Arbeit der Jury desavouiert, obwohl dieser auch Mitglieder des Stadtrates und Vertreter des Landes angehoerten. Ihr Votum fuer Handke sei schlicht und einfach ein =Fehler= gewesen, betonte Neuenhaus. Und noch eine weitere Konsequenz wird wohl aus der Affaere gezogen werden muessen, wenn es nach den Vorstellungen der SPD-Ratsfraktion geht: In diesem Jahr duerfe es gar keinen Heine-Preis geben, schlug sie vor. Jeder andere Preistraeger muesse das Gefuehl haben, =zweite Wahl= zu sein, eine Argumentation, der sich auch CDU und FDP anschliessen.

Diese Massnahmen seien der =einzige Weg, auf einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zu reagieren=, meinte Annette Steller von der SPD. Auch in diesem Punkte muss man der Politik Recht geben: Ein nicht wieder gutzumachender Schaden ist naemlich geschehen. Der Schaden, der nicht nur in der ablehnenden Reaktion einer breiten oeffentlichkeit besteht (Guenter Kunert beispielsweise hatte im Deutschlandradio erwogen, seinen ihm 1985 verliehenen Heine-Preis zurueckgegeben, wenn Handke gekuert worden waere). Der Schaden auch, der im Verhalten der Jury lag.

Wie ja laengst durchgesickert ist, war die Wahl in der Jury selbst immerhin umstritten. Wie es scheint, sind es vor allem der Duesseldorfer Oberbuergermeister Joachim Erwin, ein Mann von der CDU mit viel Sinn fuer Remmidemmi, und die Literaturkritikerin Sigrid Loeffler mit ihrem =beharrlichem Trommelwirbel= fuer den =Weltliteraten= Handke, wie ein Jurymitglied sich ausdrueckte, gewesen, die Handke favorisierten. Man begreift nicht, wie eine so grosse Jury, zu der neben Vertretern der Stadt auch Julius Schoeps, Christoph Stoelzl und Gabriele von Arnim gehoerten, sich von diesen beiden Juroren majorisieren liess. Nur Elfriede Jelinek haelt Handke weiterhin die Stange und zeigt sich =entsetzt= ueber die Entscheidung des Duesseldorfer Stadtrates. Und Handke gibt zu Protokoll: =Nirgendwo bei mir kann man lesen, ich haette Milosevic als =ein= oder =das Opfer= bezeichnet.=

Vielleicht stellt dieser peinliche Vorfall endlich einen Anlass dar, ueber einige heilige Kuehe des oeffentlichen Diskurses nachzudenken. Die Begruendung der Jury hiess ja: =Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Eigensinn und Ruecksichtslosigkeit sind Verhaltensmuster von Kindern. Warum soll man Schriftsteller dafuer preisen?

Artikel erschienen am Mi, 31. Mai 2006

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Politiker wollen Handke-Ehrung verhindern

Der Duesseldorfer Stadtrat will die umstrittene Auszeichnung des Dichters Peter Handke mit dem Heinrich-Heine-Preis verhindern. Die Fraktionen von SPD, FDP und Gruenen haben sich darauf verstaendigt, das Preisgeld nicht auszuzahlen.

Duesseldorf - =Wir werden das Geld nicht zur Verfuegung stellen=, sagte Manfred Neuenhaus, Geschaeftsfuehrer der FDP-Ratsfraktion, heute der dpa. Zuvor hatten sich die im Duesseldorfer Stadtrat vertretenen Fraktionen von SPD, FDP und Gruenen darauf verstaendigt, die Vergabe des Heine-Preises an Peter Handke zu vereiteln. Auch in der CDU- Fraktion wird es laut Buergermeister Dirk Elbers keine Mehrheit fuer Handke geben.

DPA

Dramatiker Handke: Keine Unterstuetzung aus dem Stadtrat

Eigentlich haette die Vergabe des mit 50.000 Euro dotierten Preises am 22. Juni in der Ratssitzung vom Stadtparlament bestaetigt werden sollen. Die Verleihung des renommierten Heine-Preises ist fuer 13. Dezember geplant. Eine unabhaengige Jury aus Literaturexperten, Mitgliedern des Stadtrates und einem Vertreter des Landes hatte fuer Handke als Preistraeger votiert. =Eigensinnig wie Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit=, hiess es zur Begruendung.

Der oesterreichische Dichter und Dramatiker steht jedoch seit Jahren wegen seiner positiven Haltung zum ehemaligen serbischen Diktator Slobodan Milosevic in der Kritik, so dass sich ob der Nachricht in den Feuilletons ein nachhaltiger Proteststurm regte.

=Wir sind der Auffassung, dass Handke sich mit seinem oeffentlichen Verhalten einem autoritaeren, verbrecherischen Regime angedi

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