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The Peter Handke Controversy

From Pozarevac, Serbia, to the Comédie Française

by Gilles d'Aymery

(Swans - May 22, 2006) Peter Handke, perhaps the most preeminent and creative European playwright, novelist, poet, and essayist alive today, has recently been embroiled in a cultural scandal that involves character assassination (his) through ad hominem attacks and calumny, censorship by a faceless theatre bureaucrat, and the relentless abuse of the Parisian bien-pensants, those guard dogs of French palatial conformism. Like in America, getting out of the core political line in France leads to either being utterly ignored or, when famous, being dragged into the mud and punished for crime of lese-majesty. The confluence of intellectual cowardice, financial and strategic interests, and navel-gazing, backslapping inclinations of the salon bourgeoisie, serves the long-standing axiom that you better not challenge power. Do it at your own risk. You will pay the price. You will be ostracized.

Peter Handke, perhaps the most preeminent and creative European playwright, novelist, poet, and essayist alive today, has recently been embroiled in a cultural scandal that involves character assassination (his) through ad hominem attacks and calumny, censorship by a faceless theatre bureaucrat, and the relentless abuse of the Parisian bien-pensants, those guard dogs of French palatial conformism. Like in America, getting out of the core political line in France leads to either being utterly ignored or, when famous, being dragged into the mud and punished for crime of lese-majesty. The confluence of intellectual cowardice, financial and strategic interests, and navel-gazing, backslapping inclinations of the salon bourgeoisie, serves the long-standing axiom that you better not challenge power. Do it at your own risk. You will pay the price. You will be ostracized.

One of Handke's greatest plays, The Art of Asking (written in German in 1989 as "Die Kunst des Fragens" and translated in French in 1993), was scheduled by the French public theatre company, the Comédie Française, to be presented under the direction of Bruno Bayen (all the actors had been selected) at the theatre of the Vieux-Colombier, from January 17 to February 24, 2007, in Paris. The Comédie Française, since its creation in 1680 through the merger of two famous theatre companies, the Theatre of Guénégaud, the inheritor of Molière's company, and that of the Hôtel de Bourgogne, has always been, with a very short interruption during the French Revolution, a public theatre company. It is run by a general administrator -- currently Marcel Bozonnet -- with the advice of an administrative committee. On April 29, 2006, the left-of-center daily, Libération, reported that Marcel Bozonnet had decided to scrap the play after having read a snippet published on April 6, 2006 in the Nouvel Observateur, a weekly magazine published every Thursday -- another left-of-center publication. The snippet or blip -- called a sifflet (a "whistle") -- by the journalist Ruth Valentini read:

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See: The Peter Handke Controversy
> From Pozarevac, Serbia, to the Comédie Française
by Gilles d'Aymery
http://www.swans.com/library/art12/ga209.html

Best,

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Handkes Beschuetzer

Oh je, die Kunst ist in Gefahr: Was der Heine-Preis offenbart

VON INA HARTWIG

Darueber, dass der Intendant der Comedie Française ungeschickt bis fahrlaessig handelte, als er das fuer naechstes Fruehjahr angesetzte Handke-Stueck Das Spiel vom Fragen oder Das sonore Land wieder vom Spielplan nahm, nachdem er eine malizioese Notiz ueber Peter Handkes Teilnahme an der Beerdigung von Slobodan Milosevic gelesen hatte, darueber braucht man nicht zu streiten. Marcel Bozonnet blieb der Einwand denn auch nicht erspart, Handkes Haltung zu Serbien sei doch seit etlichen Jahren sattsam bekannt. Er haette das Stueck gar nicht erst auf den Spielplan setzen duerfen, wenn er der Meinung sei, ein durch seine politischen Einlassungen desavouierter Schriftsteller habe in dem ehrwuerdigen Hause nichts zu suchen. Streiten muss man aber ueber die hoechst fragwuerdigen Folgen, die jene Entscheidung Bozonnets zeitigte, angefangen mit dem Protest sich solidarisierender Schriftstellerkollegen, hier finde =Zensur= statt; und gipfelnd in der Bekanntgabe, dass Peter Handke den angesehenen, mit 50 000 Euro dotierten Heinrich-Heine-Preis der Stadt Duesseldorf erhalten werde.

Es waere naiv zu glauben, das eine - die Solidaritaetsbekundung von Schriftstellerkollegen, darunter der geschaetzten Elfriede Jelinek - habe mit dem anderen - dem Heine-Preis - nichts zu tun.

Literatur versus Spleen
Wann immer Peter Handke in den letzten Jahren ein Literaturpreis zugesprochen wurde, der Blaue-Salon-Preis oder der Siegfried-Unseld-Preis, da wurde die literarische Leistung des Autors betont und dessen abwegiger Serbien-Komplex diskret uebergangen. Diesmal ist es anders. Handkes literarische Leistungen werden direkt mit seinem politischen Spleen verquickt, dieser allerdings nicht als solcher kenntlich gemacht. In der Begruendung der Jury heisst es, seinen =poetischen Blick auf die Welt= setze Handke =ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung.= Im uebrigen verfolge Handke =eigensinnig wie Heine= den Weg zu einer =offenen Wahrheit=. Wenn hier ein Wort treffend gewaehlt wurde, dann das Adverb =ruecksichtslos=. Der Rest ist Klitterung.

=Der Autor koennte die Heine-Summe doch jenen darbenden Serben spenden, von denen er so haeufig spricht=, polemisiert die Balkan-Expertin Caroline Fetscher im gestrigen Tagesspiegel. Und in der Welt meint Hans Christoph Buch, Handkes =politischer Amoklauf=, sein =megalomaner Geltungsdrang=, wuerden von der Duesseldorfer Jury offenbar =mit Mut verwechselt=. Inzwischen haben sich sogar einige Jury-Mitglieder von der Wahl Handkes distanziert; sie seien von der Jurorin Sigrid Loeffler in die Enge getrieben worden. Eine Jury, die nicht einmal nach aussen geschlossen zu ihrer Entscheidung steht, wie peinlich, wie peinvoll.

Kuenstlerselbstrettungsaktion
Wichtiger aber ist die Frage: Warum lassen sich ausgerechnet so exzeptionelle Schriftsteller wie Elfriede Jelinek, Patrick Modiano und Josef Winkler auf eine Solidaritaetsadresse fuer Handke ein, obwohl zu ihren Gunsten doch anzunehmen ist, dass sie ueber die befremdlichen Worte und Taten ihres Kollegen Bescheid wissen? Koennen sie wirklich gutheissen, was Handke am Grab Milosevics gesagt hat, eines Mannes immerhin, der vor einem internationalen Strafgericht der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt war? =Ich kenne die Wahrheit nicht. Aber ich schaue. Ich hoere zu. Ich fuehle mit. Ich erinnere mich. Deshalb bin ich heute hier, an der Seite Jugoslawiens, an der Seite Serbiens, an der Seite Slobodan Milosevics.=

Diese Selbstbeweihraeucherung Handkes muesste doch auch eine Jelinek, einen Modiano und einen Winkler befremden, um nur diese drei zu nennen. Doch wird im Gegenteil der Kuenstler von den Kuenstlern blind in Schutz genommen, nur weil ein selbstgefaelliger Pariser Intendant sich unmoeglich gemacht hat. Im Kern geht es den Unterzeichnern offenbar um die schoene, ergreifende Phantasie, die Kunst sei in Gefahr und muesse heroisch verteidigt werden. Handke wirft ja sogar den ihm verhassten westlichen Medien einen Mangel an Poesie vor. In diesem einen Punkt ist Marcel Bozonnet zuzustimmen: Handke betreibt =Desinformation=. Dass der oesterreichische Schriftsteller, der sich gerade in juengster Zeit ueber enthusiastische Rezensionen seiner Buecher (auch in der FR) nicht beklagen kann, =boykottiert und zensiert= werde, wie es in jener Solidaritaetsadresse heisst, ist eine alberne Behauptung. Unlaengst war Handke im frueheren Jugoslawien mit dem Bus unterwegs. Der Bus wurde in einen Unfall verwickelt. ueber die Ticker lief die Meldung, der Schriftsteller sei unverletzt. Das ist es: Ihm passiert einfach nichts. Er bekommt nur bedeutende Preise.

============

Im Herbst der Worte

Handke erntet Widerspruch

VON MARTINA MEISTER

Er nennt es den =Fruehling der Worte=. Das Ende der verbalen Kriegstreiberei. Peter Handke hofft, so bringt er es in einem Gastbeitrag in der franzoesischen Zeitung Liberation zum Ausdruck, dass ausgeloest durch die Debatte um die Absetzung seines Stueckes an der Comedie Française endlich =anders= gesprochen werde. Dass =ueberhaupt gesprochen= werde, ueber das, was er immer noch =Jugoslawien= nennt. Das Gebell, an dem er sich selbst beteiligt hat, soll also aufhoeren. Er sieht eine Bresche in die Sprache geschlagen. Man darf uebersetzen: Wir Journalisten, Verwalter und Einpeitscher des Hasses, Schlammfedern und Giftschlammschmeisser, koennten endlich zu ihm finden.

Derweil spaltet sich die oeffentlichkeit weiter: Nach dem Manifest, mit dem Elfriede Jelinek und andere die Zensur des Intendanten und die =systematische aechtung= Handkes in Frankreich kritisierten, haben sich 150 Kuenstler und Intellektuelle dem Regisseur Olivier Py angeschlossen, der den Intendanten der Comedie Française, Marcel Bazonnet, unterstuetzt: =Die Meinungsfreiheit zwingt keinen Theaterdirektor, kriminellen Ideologien Raum zu geben, die der Demokratie und den Menschenrechten zuwider laufen.=

Handke sagte, am Grab von Milosevics, er wisse die Wahrheit nicht. Er schaue, er hoere, er fuehle. Er fuehle sich nah: =nah an Jugoslawien, nah an Serbien, nah an Slobodan Milosevic.= Diese Naehe ist auch eine Form von Wahrheit. Handkes wortlose Wahrheit des Koerpers. Sein Beitrag =Sprechen wir endlich ueber Jugoslawien= ist ein Plaedoyer fuer sie. Er will entschuldigen: Die Serben seien nicht die allein Schuldigen.

Handke hat Recht. Und Unrecht zugleich. Er hat Recht, wenn er Licht auf vergessenes Leid lenken will, weil die Scheinwerfer der Geschichte auf anderes scheinen. Weil oft an das Massaker von Srebrenica erinnert wird, selten an das von Kravica. Unrecht hat er, wenn er unterschlaegt, dass in Srebrenica nicht 80, sondern 8000 Menschen starben.

Handke wuerde die Algebra des Krieges natuerlich verweigern. Aber genau diese wendet er selbst an: Er will die Schuld des Henkers erleichtern, indem er das Gewicht anderer Verbrechen mit in die Waagschale wirft. Handke will vor allem die Sprache reinigen: Er moechte, dass wir die Worte Revisionismus, Apartheid und Blutdiktatur in diesem Zusammenhang aus unserem Vokabular streichen und dass wir nicht laenger als Konzentrationslager bezeichnen, was er =untolerierbare Lager= nennt.

Wir wuerden ihm, dem Dichter, gern den Gefallen tun, weil er ein grosser Sprachzauberer ist. Aber wir koennen dem Propagandisten unmoeglich Recht geben. Wir weigern uns falsche Wahrheiten durch noch falschere zu ersetzen. =Hoeren wir auf=, fordert Handke, =Slobodan Milosevic mit Adolf Hitler zu vergleichen.= Nennen wir ihn beim Namen: Milosevic war ein Kriegsverbrecher. Auch wenn das der traurige Herbst der Worte waere. Welk, aber wahr.

Zu Herrn Spiegel's Artikel ueber die Heine Preis Verleihung an Peter Handke moechte ich nur bemerken, dass Handke nie etwas verleugnet hat, aber ehrlich genug war in der WINTERLICHEN REISE zuzugeben den Impuls zum Verneinen zu haben. Ausserdem scheint er sich zu weigern immer mit der selben Sprache in die selbe Kerbe zu hacken. Ob der schlimme Milo eine tragische historische Figur war/ ist, bin ich nicht in der Lage zu beurteilen: dafuer war die westliche Berichterstattung, besonders in der USA, viel zu oberflaechlich, um nur dieses unter vielen anderen Schimpfwoertern zu benutzen. Es scheint, dass kein Schwein, nicht mal sogennante Literaten noch lesen koennen ausser dass ihr ueberschwang an Selbstgerechtigkeit und angebliches Mitgefuehl fuer die Opfer ihnen die eigene Scheuklappen fabriziert. Was einen stoeren koennte, waere Handke's Exhibitionismus, aber haetten er den nicht samt Ambition gebe es auch nicht das wahrhaft grosse Werk. 's a Skandal, das Leben. Die Gabriele von Arnim, der angeheiraten Kousine, mit der muss ich mal darueber naeher mich unterhalten. Dass der Vollidiot Reich-Ranicki sich im selben Spiegel spiegelt wir Hubert Spiegel, wundert mich kaum.

MICHAEL ROLOFF

  


auserkoren, den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu erhalten, als ein Autor, der „eigensinnig wie Heinrich Heine= den „Weg zu einer offenen Wahrheit= verfolge, da er „den poetischen Blick auf die Welt (...) ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale= setze. Ja, es geht um denselben Handke, der kuerzlich in Serbien am Grab des Massenmoerders Milosevic verkuendete, er fuehle sich „ihm nah=. Serbische Intellektuelle erschraken. Gewiss sei der fruehe Handke, so der serbische Schriftsteller Bora Cosic, ein bedeutender Dichter gewesen, politisch habe sich der Autor jedoch fuerchterlich verirrt, als er „ohne Vorbehalt das arrogante, faschistische Regime von Milosevics Serbien unterstuetzte=. Nach Handkes Auftritt am Grab nahm die Pariser Comedie Française im April sein Drama „Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land= aus dem Spielplan fuer 2007.

Nun also Duesseldorf. Den Heine-Preis erhalten seit 1972 „Persoenlichkeiten, die den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten=, darunter Carl Zuckmayer, Max Frisch und Elfriede Jelinek. Unlaengst stockte man das Preisgeld von 25000 Euro auf 50 000 auf – Steuergelder, die in Handkes Tasche fliessen sollen. Wie kommt so etwas zustande? 17 Autorendossiers lagen der Jury vor, der neben Sigrid Loeffler auch Julius Schoeps, Christoph Stoelzl, Gabriele von Arnim und hochrangige Vertreter der Stadt angehoeren. Die gruene Duesseldorfer Ratsfrau Marit von Ahlefeld erklaert jetzt: „Ich stehe nicht hinter dem Entschluss, meine Kandidatin war Irene Dische.= Ungluecklich ist auch Schoeps: „Mir ging es um Amos Oz.= Viele scheinen sich auf der Sitzung ueberfahren oder ueberfordert gefuehlt zu haben. Reumuetig erklaert ein weiteres Jurymitglied, Loeffler habe Handke mit derart beharrlichem Trommelwirbel als „Weltliterat= gepriesen, bis die anderen muerbe wurden. „Ich selbst verstehe ja wenig von der Materie=, raeumt einer ein. „Was Handke auf der Beerdigung gesagt hat, weiss man doch nicht so genau=, verteidigt sich ein anderer. Wenigstens koenne man ja der Preisverleihung am 13. Dezember fern bleiben, troestet sich ein Jurymitglied.

Handke indes, dessen Kasse ein wenig klamm sein soll, da viele Buchhaendler ihn boykottieren, freut sich ueber den Preis. Vergessen scheint, dass Suhrkamp vor drei Jahren bekannt gab, er werde fortan keine Preise mehr annehmen. Vorschlag zur Guete: Der Autor koennte die Heine-Summe doch jenen darbenden Serben spenden, von denen er so haeufig spricht. Zu analysieren bleibt die zentrale Frage nach dem Ethos deutscher Kultureliten, nach deren Empathieferne oder horrender Nonchalance, auch und gerade, wo es um Macht, Geld und Preise geht. Caroline Fetscher

 


Preis fuer Peter Handke
Heine wird verhoehnt
Von Hubert Spiegel


26. Mai 2006 Jede Entscheidung einer literarischen Jury ist anfechtbar. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann in aller Regel bestens darueber streiten, ob ein Autor die ihm zugesprochene Auszeichnung verdient oder auch nicht verdient hat, und dieser Streit gehoert zu den ewigen Ritualen des literarischen Lebens. Die Jury, die den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu vergeben hatte, kann diese Routine nicht fuer sich in Anspruch nehmen. Ihre Entscheidung, Peter Handke auszuzeichnen, faellt nicht nur aus dem Rahmen des ueblichen, sie ist unerhoert.

Als unlaengst Marcel Bozonnet, der Direktor der angesehenen Comedie Francaise sich weigerte, Handkes Stueck „Das Spiel vom Fragen= in seinem Haus auf die Buehne zu bringen, sprachen manche Kommentare von einem Akt der Zensur. Mehr als hundert franzoesische Schriftsteller und Intellektuelle sahen das anders und unterstuetzen die Entscheidung des Intendanten in einem offenen Brief. Und von Zensur konnte tatsaechlich keine Rede sein, denn ueber den Spielplan zu entscheiden, ist Recht und Pflicht der Intendanz.

Grundregel des Diskurses verletzt

Das staerkste Argument gegen die von Bozonnet verhaengte Boykottmassnahme, denn um nichts anderes handelt es sich, ist Handkes Stueck selbst: Es hat mit den politischen Ansichten seines Autors zum Balkan-Krieg nichts zu tun. Bozonnet hat denn auch nie behauptet, dass der Inhalt des Stueckes seine Entscheidung beeinflusst habe. Deshalb muss der Intendant sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er eine Grundregel des aesthetischen Diskurses verletzt hat. Die Regel besagt, dass Kunstwerke nicht ohne weiteres fuer die politischen ueberzeugungen ihrer Schoepfer haftbar gemacht werden duerfen.

Bei der Duesseldorfer Entscheidung verhaelt sich die Sache indes vollkommen anders. Denn der Heine-Preis ist keine rein literarische Auszeichnung, und er wird nicht fuer ein literarisches oder poetisches Gesamtwerk vergeben. In der Pressemitteilung der Stadt ist zu lesen: „Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heisst, durch den Rat der Landeshauptstadt Duesseldorf aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes ,Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, fuer die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten'.=

Kurze Begruendung

Will die Jury also allen Ernstes behaupten, Handkes Auftritt am Grab des Massenmoerders Milosevic habe der Voelkerverstaendigung gedient? Verbreitet die Schamlosigkeit, mit der Handke die serbischen Verbrechen beschoenigt und die ethnischen Saeuberungen geleugnet hat, die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen? Die Begruendung der Jury ist kurz, zwei Saetze sind es nur: „Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Handke hat Milosevic als „Opfer der Geschichte= bezeichnet und, wie Bernhard-Henri Levy juengst in Erinnerung gerufen hat, das Leid der Serben fuer groesser erklaert „als jenes der Juden in der Nazizeit=. Sieht so Eigensinn in der Tradition Heines aus?

Marcel Reich-Ranicki ist nicht dieser Ansicht: „Die Auszeichnung Peter Handkes mit dem Heine-Preis ist eine empoerende Beleidigung und Verhoehnung des Dichters Heine=, sagte der Literaturkritiker im Gespraech. Die Publizistin Alice Schwarzer hat erklaert, sie glaube, dass Handkes Mut Heine „vermutlich imponiert= haette.

Teile der Jury distanzieren sich

Diese Spekulation ist wohlfeil. Die Einschaetzung der Jury-Entscheidung darf nicht an den toten Heine delegiert werden, es muessen sich schon die Zeitgenossen der Unbequemlichkeit unterziehen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass Politiker wie der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Konrad Busek, oder der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Bundestag die Vergabe eines Literaturpreises kommentieren, ist ebenso ungewoehnlich wie der Umstand, dass sich Teile der Jury, der neben Vertretern der Stadt Duesseldorf unter anderen Sigrid Loeffler, Julius H. Schoeps, Christoph Stoelzl und Gabriele von Arnim angehoeren, bereits von der Entscheidung ihres Gremiums distanziert haben. Offen wird darueber gesprochen, dass sechzehn andere Kandidaten zur Wahl gestanden haetten, darunter Amos Oz und Irene Dische. Laut Berliner „Tagesspiegel= erwaegt ein Jurymitglied, der Preisverleihung im Dezember fernzubleiben.

Niemand will den Schriftsteller Peter Handke aechten, seine Stuecke sollen gespielt, seine Buecher sollen gedruckt und diskutiert werden. All das ist selbstverstaendlich und muss es bleiben. Aber die Duesseldorfer Entscheidung ist verstoerend in ihrer blinden Lust an der Provokation. Sie wird den Heine-Preis nachhaltig beschaedigen.

Text: F.A.Z., 27.05.2006, Nr. 122 / Seite 33
Bildmaterial: AP

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Duesseldorf/Wien - Der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Exvizekanzler Erhard
Busek (oeVP), kritisierte die Stadt Duesseldorf, die am Dienstag bekannt
gegeben hatte, Peter Handke mit dem Heine-Preis (mit 50.000 Euro zaehlt er zu
den drei hoechstdotierten deutschen Literaturpreisen) auszuzeichnen: =Ich
halte die Entscheidung fuer sehr problematisch. Man beleidigt damit die
vielen Toten=, so Busek gegenueber der Rheinischen Post.



Auch der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Deutschen Bundestag,
Ruprecht Polenz (CDU), sowie der Vorsitzende des Kulturausschusses,
Hans-Joachim Otto (FDP), aeusserten sich kritisch. Emma-Chefredakteurin Alice
Schwarzer hingegen verteidigte die Entscheidung: =Handkes Mut haette Heine
vermutlich beeindruckt.= Sie spielte damit auf die Begruendung der Jury an,
die gemeint hatte, Handke verfolge eigensinnig wie Heinrich Heine den Weg zu
einer =offenen Wahrheit= und setze seinen poetischen Blick auf die Welt
ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung. (trenk, APA /DER STANDARD,
Print-Ausgabe, 26.5.2006)



http://derstandard.at/?id=2456875

Handkes Beschuetzer

Oh je, die Kunst ist in Gefahr: Was der Heine-Preis offenbart

VON INA HARTWIG

Darueber, dass der Intendant der Comedie Française ungeschickt bis fahrlaessig handelte, als er das fuer naechstes Fruehjahr angesetzte Handke-Stueck Das Spiel vom Fragen oder Das sonore Land wieder vom Spielplan nahm, nachdem er eine malizioese Notiz ueber Peter Handkes Teilnahme an der Beerdigung von Slobodan Milosevic gelesen hatte, darueber braucht man nicht zu streiten. Marcel Bozonnet blieb der Einwand denn auch nicht erspart, Handkes Haltung zu Serbien sei doch seit etlichen Jahren sattsam bekannt. Er haette das Stueck gar nicht erst auf den Spielplan setzen duerfen, wenn er der Meinung sei, ein durch seine politischen Einlassungen desavouierter Schriftsteller habe in dem ehrwuerdigen Hause nichts zu suchen. Streiten muss man aber ueber die hoechst fragwuerdigen Folgen, die jene Entscheidung Bozonnets zeitigte, angefangen mit dem Protest sich solidarisierender Schriftstellerkollegen, hier finde =Zensur= statt; und gipfelnd in der Bekanntgabe, dass Peter Handke den angesehenen, mit 50 000 Euro dotierten Heinrich-Heine-Preis der Stadt Duesseldorf erhalten werde.

Es waere naiv zu glauben, das eine - die Solidaritaetsbekundung von Schriftstellerkollegen, darunter der geschaetzten Elfriede Jelinek - habe mit dem anderen - dem Heine-Preis - nichts zu tun.

Literatur versus Spleen
Wann immer Peter Handke in den letzten Jahren ein Literaturpreis zugesprochen wurde, der Blaue-Salon-Preis oder der Siegfried-Unseld-Preis, da wurde die literarische Leistung des Autors betont und dessen abwegiger Serbien-Komplex diskret uebergangen. Diesmal ist es anders. Handkes literarische Leistungen werden direkt mit seinem politischen Spleen verquickt, dieser allerdings nicht als solcher kenntlich gemacht. In der Begruendung der Jury heisst es, seinen =poetischen Blick auf die Welt= setze Handke =ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung.= Im uebrigen verfolge Handke =eigensinnig wie Heine= den Weg zu einer =offenen Wahrheit=. Wenn hier ein Wort treffend gewaehlt wurde, dann das Adverb =ruecksichtslos=. Der Rest ist Klitterung.

=Der Autor koennte die Heine-Summe doch jenen darbenden Serben spenden, von denen er so haeufig spricht=, polemisiert die Balkan-Expertin Caroline Fetscher im gestrigen Tagesspiegel. Und in der Welt meint Hans Christoph Buch, Handkes =politischer Amoklauf=, sein =megalomaner Geltungsdrang=, wuerden von der Duesseldorfer Jury offenbar =mit Mut verwechselt=. Inzwischen haben sich sogar einige Jury-Mitglieder von der Wahl Handkes distanziert; sie seien von der Jurorin Sigrid Loeffler in die Enge getrieben worden. Eine Jury, die nicht einmal nach aussen geschlossen zu ihrer Entscheidung steht, wie peinlich, wie peinvoll.

Kuenstlerselbstrettungsaktion
Wichtiger aber ist die Frage: Warum lassen sich ausgerechnet so exzeptionelle Schriftsteller wie Elfriede Jelinek, Patrick Modiano und Josef Winkler auf eine Solidaritaetsadresse fuer Handke ein, obwohl zu ihren Gunsten doch anzunehmen ist, dass sie ueber die befremdlichen Worte und Taten ihres Kollegen Bescheid wissen? Koennen sie wirklich gutheissen, was Handke am Grab Milosevics gesagt hat, eines Mannes immerhin, der vor einem internationalen Strafgericht der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt war? =Ich kenne die Wahrheit nicht. Aber ich schaue. Ich hoere zu. Ich fuehle mit. Ich erinnere mich. Deshalb bin ich heute hier, an der Seite Jugoslawiens, an der Seite Serbiens, an der Seite Slobodan Milosevics.=

Diese Selbstbeweihraeucherung Handkes muesste doch auch eine Jelinek, einen Modiano und einen Winkler befremden, um nur diese drei zu nennen. Doch wird im Gegenteil der Kuenstler von den Kuenstlern blind in Schutz genommen, nur weil ein selbstgefaelliger Pariser Intendant sich unmoeglich gemacht hat. Im Kern geht es den Unterzeichnern offenbar um die schoene, ergreifende Phantasie, die Kunst sei in Gefahr und muesse heroisch verteidigt werden. Handke wirft ja sogar den ihm verhassten westlichen Medien einen Mangel an Poesie vor. In diesem einen Punkt ist Marcel Bozonnet zuzustimmen: Handke betreibt =Desinformation=. Dass der oesterreichische Schriftsteller, der sich gerade in juengster Zeit ueber enthusiastische Rezensionen seiner Buecher (auch in der FR) nicht beklagen kann, =boykottiert und zensiert= werde, wie es in jener Solidaritaetsadresse heisst, ist eine alberne Behauptung. Unlaengst war Handke im frueheren Jugoslawien mit dem Bus unterwegs. Der Bus wurde in einen Unfall verwickelt. ueber die Ticker lief die Meldung, der Schriftsteller sei unverletzt. Das ist es: Ihm passiert einfach nichts. Er bekommt nur bedeutende Preise.

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Im Herbst der Worte

Handke erntet Widerspruch

VON MARTINA MEISTER

Er nennt es den =Fruehling der Worte=. Das Ende der verbalen Kriegstreiberei. Peter Handke hofft, so bringt er es in einem Gastbeitrag in der franzoesischen Zeitung Liberation zum Ausdruck, dass ausgeloest durch die Debatte um die Absetzung seines Stueckes an der Comedie Française endlich =anders= gesprochen werde. Dass =ueberhaupt gesprochen= werde, ueber das, was er immer noch =Jugoslawien= nennt. Das Gebell, an dem er sich selbst beteiligt hat, soll also aufhoeren. Er sieht eine Bresche in die Sprache geschlagen. Man darf uebersetzen: Wir Journalisten, Verwalter und Einpeitscher des Hasses, Schlammfedern und Giftschlammschmeisser, koennten endlich zu ihm finden.

Derweil spaltet sich die oeffentlichkeit weiter: Nach dem Manifest, mit dem Elfriede Jelinek und andere die Zensur des Intendanten und die =systematische aechtung= Handkes in Frankreich kritisierten, haben sich 150 Kuenstler und Intellektuelle dem Regisseur Olivier Py angeschlossen, der den Intendanten der Comedie Française, Marcel Bazonnet, unterstuetzt: =Die Meinungsfreiheit zwingt keinen Theaterdirektor, kriminellen Ideologien Raum zu geben, die der Demokratie und den Menschenrechten zuwider laufen.=

Handke sagte, am Grab von Milosevics, er wisse die Wahrheit nicht. Er schaue, er hoere, er fuehle. Er fuehle sich nah: =nah an Jugoslawien, nah an Serbien, nah an Slobodan Milosevic.= Diese Naehe ist auch eine Form von Wahrheit. Handkes wortlose Wahrheit des Koerpers. Sein Beitrag =Sprechen wir endlich ueber Jugoslawien= ist ein Plaedoyer fuer sie. Er will entschuldigen: Die Serben seien nicht die allein Schuldigen.

Handke hat Recht. Und Unrecht zugleich. Er hat Recht, wenn er Licht auf vergessenes Leid lenken will, weil die Scheinwerfer der Geschichte auf anderes scheinen. Weil oft an das Massaker von Srebrenica erinnert wird, selten an das von Kravica. Unrecht hat er, wenn er unterschlaegt, dass in Srebrenica nicht 80, sondern 8000 Menschen starben.

Handke wuerde die Algebra des Krieges natuerlich verweigern. Aber genau diese wendet er selbst an: Er will die Schuld des Henkers erleichtern, indem er das Gewicht anderer Verbrechen mit in die Waagschale wirft. Handke will vor allem die Sprache reinigen: Er moechte, dass wir die Worte Revisionismus, Apartheid und Blutdiktatur in diesem Zusammenhang aus unserem Vokabular streichen und dass wir nicht laenger als Konzentrationslager bezeichnen, was er =untolerierbare Lager= nennt.

Wir wuerden ihm, dem Dichter, gern den Gefallen tun, weil er ein grosser Sprachzauberer ist. Aber wir koennen dem Propagandisten unmoeglich Recht geben. Wir weigern uns falsche Wahrheiten durch noch falschere zu ersetzen. =Hoeren wir auf=, fordert Handke, =Slobodan Milosevic mit Adolf Hitler zu vergleichen.= Nennen wir ihn beim Namen: Milosevic war ein Kriegsverbrecher. Auch wenn das der traurige Herbst der Worte waere. Welk, aber wahr.

Zu Herrn Spiegel's Artikel ueber die Heine Preis Verleihung an Peter Handke moechte ich nur bemerken, dass Handke nie etwas verleugnet hat, aber ehrlich genug war in der WINTERLICHEN REISE zuzugeben den Impuls zum Verneinen zu haben. Ausserdem scheint er sich zu weigern immer mit der selben Sprache in die selbe Kerbe zu hacken. Ob der schlimme Milo eine tragische historische Figur war/ ist, bin ich nicht in der Lage zu beurteilen: dafuer war die westliche Berichterstattung, besonders in der USA, viel zu oberflaechlich, um nur dieses unter vielen anderen Schimpfwoertern zu benutzen. Es scheint, dass kein Schwein, nicht mal sogennante Literaten noch lesen koennen ausser dass ihr ueberschwang an Selbstgerechtigkeit und angebliches Mitgefuehl fuer die Opfer ihnen die eigene Scheuklappen fabriziert. Was einen stoeren koennte, waere Handke's Exhibitionismus, aber haetten er den nicht samt Ambition gebe es auch nicht das wahrhaft grosse Werk. 's a Skandal, das Leben. Die Gabriele von Arnim, der angeheiraten Kousine, mit der muss ich mal darueber naeher mich unterhalten. Dass der Vollidiot Reich-Ranicki sich im selben Spiegel spiegelt wir Hubert Spiegel, wundert mich kaum.

MICHAEL ROLOFF

  


auserkoren, den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu erhalten, als ein Autor, der „eigensinnig wie Heinrich Heine= den „Weg zu einer offenen Wahrheit= verfolge, da er „den poetischen Blick auf die Welt (...) ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale= setze. Ja, es geht um denselben Handke, der kuerzlich in Serbien am Grab des Massenmoerders Milosevic verkuendete, er fuehle sich „ihm nah=. Serbische Intellektuelle erschraken. Gewiss sei der fruehe Handke, so der serbische Schriftsteller Bora Cosic, ein bedeutender Dichter gewesen, politisch habe sich der Autor jedoch fuerchterlich verirrt, als er „ohne Vorbehalt das arrogante, faschistische Regime von Milosevics Serbien unterstuetzte=. Nach Handkes Auftritt am Grab nahm die Pariser Comedie Française im April sein Drama „Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land= aus dem Spielplan fuer 2007.

Nun also Duesseldorf. Den Heine-Preis erhalten seit 1972 „Persoenlichkeiten, die den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten=, darunter Carl Zuckmayer, Max Frisch und Elfriede Jelinek. Unlaengst stockte man das Preisgeld von 25000 Euro auf 50 000 auf – Steuergelder, die in Handkes Tasche fliessen sollen. Wie kommt so etwas zustande? 17 Autorendossiers lagen der Jury vor, der neben Sigrid Loeffler auch Julius Schoeps, Christoph Stoelzl, Gabriele von Arnim und hochrangige Vertreter der Stadt angehoeren. Die gruene Duesseldorfer Ratsfrau Marit von Ahlefeld erklaert jetzt: „Ich stehe nicht hinter dem Entschluss, meine Kandidatin war Irene Dische.= Ungluecklich ist auch Schoeps: „Mir ging es um Amos Oz.= Viele scheinen sich auf der Sitzung ueberfahren oder ueberfordert gefuehlt zu haben. Reumuetig erklaert ein weiteres Jurymitglied, Loeffler habe Handke mit derart beharrlichem Trommelwirbel als „Weltliterat= gepriesen, bis die anderen muerbe wurden. „Ich selbst verstehe ja wenig von der Materie=, raeumt einer ein. „Was Handke auf der Beerdigung gesagt hat, weiss man doch nicht so genau=, verteidigt sich ein anderer. Wenigstens koenne man ja der Preisverleihung am 13. Dezember fern bleiben, troestet sich ein Jurymitglied.

Handke indes, dessen Kasse ein wenig klamm sein soll, da viele Buchhaendler ihn boykottieren, freut sich ueber den Preis. Vergessen scheint, dass Suhrkamp vor drei Jahren bekannt gab, er werde fortan keine Preise mehr annehmen. Vorschlag zur Guete: Der Autor koennte die Heine-Summe doch jenen darbenden Serben spenden, von denen er so haeufig spricht. Zu analysieren bleibt die zentrale Frage nach dem Ethos deutscher Kultureliten, nach deren Empathieferne oder horrender Nonchalance, auch und gerade, wo es um Macht, Geld und Preise geht. Caroline Fetscher

 


Preis fuer Peter Handke
Heine wird verhoehnt
Von Hubert Spiegel


26. Mai 2006 Jede Entscheidung einer literarischen Jury ist anfechtbar. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann in aller Regel bestens darueber streiten, ob ein Autor die ihm zugesprochene Auszeichnung verdient oder auch nicht verdient hat, und dieser Streit gehoert zu den ewigen Ritualen des literarischen Lebens. Die Jury, die den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu vergeben hatte, kann diese Routine nicht fuer sich in Anspruch nehmen. Ihre Entscheidung, Peter Handke auszuzeichnen, faellt nicht nur aus dem Rahmen des ueblichen, sie ist unerhoert.

Als unlaengst Marcel Bozonnet, der Direktor der angesehenen Comedie Francaise sich weigerte, Handkes Stueck „Das Spiel vom Fragen= in seinem Haus auf die Buehne zu bringen, sprachen manche Kommentare von einem Akt der Zensur. Mehr als hundert franzoesische Schriftsteller und Intellektuelle sahen das anders und unterstuetzen die Entscheidung des Intendanten in einem offenen Brief. Und von Zensur konnte tatsaechlich keine Rede sein, denn ueber den Spielplan zu entscheiden, ist Recht und Pflicht der Intendanz.

Grundregel des Diskurses verletzt

Das staerkste Argument gegen die von Bozonnet verhaengte Boykottmassnahme, denn um nichts anderes handelt es sich, ist Handkes Stueck selbst: Es hat mit den politischen Ansichten seines Autors zum Balkan-Krieg nichts zu tun. Bozonnet hat denn auch nie behauptet, dass der Inhalt des Stueckes seine Entscheidung beeinflusst habe. Deshalb muss der Intendant sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er eine Grundregel des aesthetischen Diskurses verletzt hat. Die Regel besagt, dass Kunstwerke nicht ohne weiteres fuer die politischen ueberzeugungen ihrer Schoepfer haftbar gemacht werden duerfen.

Bei der Duesseldorfer Entscheidung verhaelt sich die Sache indes vollkommen anders. Denn der Heine-Preis ist keine rein literarische Auszeichnung, und er wird nicht fuer ein literarisches oder poetisches Gesamtwerk vergeben. In der Pressemitteilung der Stadt ist zu lesen: „Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heisst, durch den Rat der Landeshauptstadt Duesseldorf aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes ,Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, fuer die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten'.=

Kurze Begruendung

Will die Jury also allen Ernstes behaupten, Handkes Auftritt am Grab des Massenmoerders Milosevic habe der Voelkerverstaendigung gedient? Verbreitet die Schamlosigkeit, mit der Handke die serbischen Verbrechen beschoenigt und die ethnischen Saeuberungen geleugnet hat, die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen? Die Begruendung der Jury ist kurz, zwei Saetze sind es nur: „Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Handke hat Milosevic als „Opfer der Geschichte= bezeichnet und, wie Bernhard-Henri Levy juengst in Erinnerung gerufen hat, das Leid der Serben fuer groesser erklaert „als jenes der Juden in der Nazizeit=. Sieht so Eigensinn in der Tradition Heines aus?

Marcel Reich-Ranicki ist nicht dieser Ansicht: „Die Auszeichnung Peter Handkes mit dem Heine-Preis ist eine empoerende Beleidigung und Verhoehnung des Dichters Heine=, sagte der Literaturkritiker im Gespraech. Die Publizistin Alice Schwarzer hat erklaert, sie glaube, dass Handkes Mut Heine „vermutlich imponiert= haette.

Teile der Jury distanzieren sich

Diese Spekulation ist wohlfeil. Die Einschaetzung der Jury-Entscheidung darf nicht an den toten Heine delegiert werden, es muessen sich schon die Zeitgenossen der Unbequemlichkeit unterziehen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass Politiker wie der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Konrad Busek, oder der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Bundestag die Vergabe eines Literaturpreises kommentieren, ist ebenso ungewoehnlich wie der Umstand, dass sich Teile der Jury, der neben Vertretern der Stadt Duesseldorf unter anderen Sigrid Loeffler, Julius H. Schoeps, Christoph Stoelzl und Gabriele von Arnim angehoeren, bereits von der Entscheidung ihres Gremiums distanziert haben. Offen wird darueber gesprochen, dass sechzehn andere Kandidaten zur Wahl gestanden haetten, darunter Amos Oz und Irene Dische. Laut Berliner „Tagesspiegel= erwaegt ein Jurymitglied, der Preisverleihung im Dezember fernzubleiben.

Niemand will den Schriftsteller Peter Handke aechten, seine Stuecke sollen gespielt, seine Buecher sollen gedruckt und diskutiert werden. All das ist selbstverstaendlich und muss es bleiben. Aber die Duesseldorfer Entscheidung ist verstoerend in ihrer blinden Lust an der Provokation. Sie wird den Heine-Preis nachhaltig beschaedigen.

Text: F.A.Z., 27.05.2006, Nr. 122 / Seite 33
Bildmaterial: AP

====

Duesseldorf/Wien - Der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Exvizekanzler Erhard
Busek (oeVP), kritisierte die Stadt Duesseldorf, die am Dienstag bekannt
gegeben hatte, Peter Handke mit dem Heine-Preis (mit 50.000 Euro zaehlt er zu
den drei hoechstdotierten deutschen Literaturpreisen) auszuzeichnen: =Ich
halte die Entscheidung fuer sehr problematisch. Man beleidigt damit die
vielen Toten=, so Busek gegenueber der Rheinischen Post.



Auch der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Deutschen Bundestag,
Ruprecht Polenz (CDU), sowie der Vorsitzende des Kulturausschusses,
Hans-Joachim Otto (FDP), aeusserten sich kritisch. Emma-Chefredakteurin Alice
Schwarzer hingegen verteidigte die Entscheidung: =Handkes Mut haette Heine
vermutlich beeindruckt.= Sie spielte damit auf die Begruendung der Jury an,
die gemeint hatte, Handke verfolge eigensinnig wie Heinrich Heine den Weg zu
einer =offenen Wahrheit= und setze seinen poetischen Blick auf die Welt
ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung. (trenk, APA /DER STANDARD,
Print-Ausgabe, 26.5.2006)



http://derstandard.at/?id=2456875


auserkoren, den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu erhalten, als ein Autor, der „eigensinnig wie Heinrich Heine= den „Weg zu einer offenen Wahrheit= verfolge, da er „den poetischen Blick auf die Welt (...) ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale= setze. Ja, es geht um denselben Handke, der kuerzlich in Serbien am Grab des Massenmoerders Milosevic verkuendete, er fuehle sich „ihm nah=. Serbische Intellektuelle erschraken. Gewiss sei der fruehe Handke, so der serbische Schriftsteller Bora Cosic, ein bedeutender Dichter gewesen, politisch habe sich der Autor jedoch fuerchterlich verirrt, als er „ohne Vorbehalt das arrogante, faschistische Regime von Milosevics Serbien unterstuetzte=. Nach Handkes Auftritt am Grab nahm die Pariser Comedie Française im April sein Drama „Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land= aus dem Spielplan fuer 2007.

Nun also Duesseldorf. Den Heine-Preis erhalten seit 1972 „Persoenlichkeiten, die den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten=, darunter Carl Zuckmayer, Max Frisch und Elfriede Jelinek. Unlaengst stockte man das Preisgeld von 25000 Euro auf 50 000 auf – Steuergelder, die in Handkes Tasche fliessen sollen. Wie kommt so etwas zustande? 17 Autorendossiers lagen der Jury vor, der neben Sigrid Loeffler auch Julius Schoeps, Christoph Stoelzl, Gabriele von Arnim und hochrangige Vertreter der Stadt angehoeren. Die gruene Duesseldorfer Ratsfrau Marit von Ahlefeld erklaert jetzt: „Ich stehe nicht hinter dem Entschluss, meine Kandidatin war Irene Dische.= Ungluecklich ist auch Schoeps: „Mir ging es um Amos Oz.= Viele scheinen sich auf der Sitzung ueberfahren oder ueberfordert gefuehlt zu haben. Reumuetig erklaert ein weiteres Jurymitglied, Loeffler habe Handke mit derart beharrlichem Trommelwirbel als „Weltliterat= gepriesen, bis die anderen muerbe wurden. „Ich selbst verstehe ja wenig von der Materie=, raeumt einer ein. „Was Handke auf der Beerdigung gesagt hat, weiss man doch nicht so genau=, verteidigt sich ein anderer. Wenigstens koenne man ja der Preisverleihung am 13. Dezember fern bleiben, troestet sich ein Jurymitglied.

Handke indes, dessen Kasse ein wenig klamm sein soll, da viele Buchhaendler ihn boykottieren, freut sich ueber den Preis. Vergessen scheint, dass Suhrkamp vor drei Jahren bekannt gab, er werde fortan keine Preise mehr annehmen. Vorschlag zur Guete: Der Autor koennte die Heine-Summe doch jenen darbenden Serben spenden, von denen er so haeufig spricht. Zu analysieren bleibt die zentrale Frage nach dem Ethos deutscher Kultureliten, nach deren Empathieferne oder horrender Nonchalance, auch und gerade, wo es um Macht, Geld und Preise geht. Caroline Fetscher

 


Preis fuer Peter Handke
Heine wird verhoehnt
Von Hubert Spiegel


26. Mai 2006 Jede Entscheidung einer literarischen Jury ist anfechtbar. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann in aller Regel bestens darueber streiten, ob ein Autor die ihm zugesprochene Auszeichnung verdient oder auch nicht verdient hat, und dieser Streit gehoert zu den ewigen Ritualen des literarischen Lebens. Die Jury, die den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu vergeben hatte, kann diese Routine nicht fuer sich in Anspruch nehmen. Ihre Entscheidung, Peter Handke auszuzeichnen, faellt nicht nur aus dem Rahmen des ueblichen, sie ist unerhoert.

Als unlaengst Marcel Bozonnet, der Direktor der angesehenen Comedie Francaise sich weigerte, Handkes Stueck „Das Spiel vom Fragen= in seinem Haus auf die Buehne zu bringen, sprachen manche Kommentare von einem Akt der Zensur. Mehr als hundert franzoesische Schriftsteller und Intellektuelle sahen das anders und unterstuetzen die Entscheidung des Intendanten in einem offenen Brief. Und von Zensur konnte tatsaechlich keine Rede sein, denn ueber den Spielplan zu entscheiden, ist Recht und Pflicht der Intendanz.

Grundregel des Diskurses verletzt

Das staerkste Argument gegen die von Bozonnet verhaengte Boykottmassnahme, denn um nichts anderes handelt es sich, ist Handkes Stueck selbst: Es hat mit den politischen Ansichten seines Autors zum Balkan-Krieg nichts zu tun. Bozonnet hat denn auch nie behauptet, dass der Inhalt des Stueckes seine Entscheidung beeinflusst habe. Deshalb muss der Intendant sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er eine Grundregel des aesthetischen Diskurses verletzt hat. Die Regel besagt, dass Kunstwerke nicht ohne weiteres fuer die politischen ueberzeugungen ihrer Schoepfer haftbar gemacht werden duerfen.

Bei der Duesseldorfer Entscheidung verhaelt sich die Sache indes vollkommen anders. Denn der Heine-Preis ist keine rein literarische Auszeichnung, und er wird nicht fuer ein literarisches oder poetisches Gesamtwerk vergeben. In der Pressemitteilung der Stadt ist zu lesen: „Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heisst, durch den Rat der Landeshauptstadt Duesseldorf aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes ,Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, fuer die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten'.=

Kurze Begruendung

Will die Jury also allen Ernstes behaupten, Handkes Auftritt am Grab des Massenmoerders Milosevic habe der Voelkerverstaendigung gedient? Verbreitet die Schamlosigkeit, mit der Handke die serbischen Verbrechen beschoenigt und die ethnischen Saeuberungen geleugnet hat, die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen? Die Begruendung der Jury ist kurz, zwei Saetze sind es nur: „Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Handke hat Milosevic als „Opfer der Geschichte= bezeichnet und, wie Bernhard-Henri Levy juengst in Erinnerung gerufen hat, das Leid der Serben fuer groesser erklaert „als jenes der Juden in der Nazizeit=. Sieht so Eigensinn in der Tradition Heines aus?

Marcel Reich-Ranicki ist nicht dieser Ansicht: „Die Auszeichnung Peter Handkes mit dem Heine-Preis ist eine empoerende Beleidigung und Verhoehnung des Dichters Heine=, sagte der Literaturkritiker im Gespraech. Die Publizistin Alice Schwarzer hat erklaert, sie glaube, dass Handkes Mut Heine „vermutlich imponiert= haette.

Teile der Jury distanzieren sich

Diese Spekulation ist wohlfeil. Die Einschaetzung der Jury-Entscheidung darf nicht an den toten Heine delegiert werden, es muessen sich schon die Zeitgenossen der Unbequemlichkeit unterziehen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass Politiker wie der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Konrad Busek, oder der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Bundestag die Vergabe eines Literaturpreises kommentieren, ist ebenso ungewoehnlich wie der Umstand, dass sich Teile der Jury, der neben Vertretern der Stadt Duesseldorf unter anderen Sigrid Loeffler, Julius H. Schoeps, Christoph Stoelzl und Gabriele von Arnim angehoeren, bereits von der Entscheidung ihres Gremiums distanziert haben. Offen wird darueber gesprochen, dass sechzehn andere Kandidaten zur Wahl gestanden haetten, darunter Amos Oz und Irene Dische. Laut Berliner „Tagesspiegel= erwaegt ein Jurymitglied, der Preisverleihung im Dezember fernzubleiben.

Niemand will den Schriftsteller Peter Handke aechten, seine Stuecke sollen gespielt, seine Buecher sollen gedruckt und diskutiert werden. All das ist selbstverstaendlich und muss es bleiben. Aber die Duesseldorfer Entscheidung ist verstoerend in ihrer blinden Lust an der Provokation. Sie wird den Heine-Preis nachhaltig beschaedigen.

Text: F.A.Z., 27.05.2006, Nr. 122 / Seite 33
Bildmaterial: AP

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Duesseldorf/Wien - Der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Exvizekanzler Erhard
Busek (oeVP), kritisierte die Stadt Duesseldorf, die am Dienstag bekannt
gegeben hatte, Peter Handke mit dem Heine-Preis (mit 50.000 Euro zaehlt er zu
den drei hoechstdotierten deutschen Literaturpreisen) auszuzeichnen: =Ich
halte die Entscheidung fuer sehr problematisch. Man beleidigt damit die
vielen Toten=, so Busek gegenueber der Rheinischen Post.



Auch der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Deutschen Bundestag,
Ruprecht Polenz (CDU), sowie der Vorsitzende des Kulturausschusses,
Hans-Joachim Otto (FDP), aeusserten sich kritisch. Emma-Chefredakteurin Alice
Schwarzer hingegen verteidigte die Entscheidung: =Handkes Mut haette Heine
vermutlich beeindruckt.= Sie spielte damit auf die Begruendung der Jury an,
die gemeint hatte, Handke verfolge eigensinnig wie Heinrich Heine den Weg zu
einer =offenen Wahrheit= und setze seinen poetischen Blick auf die Welt
ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung. (trenk, APA /DER STANDARD,
Print-Ausgabe, 26.5.2006)



http://derstandard.at/?id=2456875


Preis fuer Peter Handke
Heine wird verhoehnt
Von Hubert Spiegel


26. Mai 2006 Jede Entscheidung einer literarischen Jury ist anfechtbar. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann in aller Regel bestens darueber streiten, ob ein Autor die ihm zugesprochene Auszeichnung verdient oder auch nicht verdient hat, und dieser Streit gehoert zu den ewigen Ritualen des literarischen Lebens. Die Jury, die den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu vergeben hatte, kann diese Routine nicht fuer sich in Anspruch nehmen. Ihre Entscheidung, Peter Handke auszuzeichnen, faellt nicht nur aus dem Rahmen des ueblichen, sie ist unerhoert.

Als unlaengst Marcel Bozonnet, der Direktor der angesehenen Comedie Francaise sich weigerte, Handkes Stueck „Das Spiel vom Fragen= in seinem Haus auf die Buehne zu bringen, sprachen manche Kommentare von einem Akt der Zensur. Mehr als hundert franzoesische Schriftsteller und Intellektuelle sahen das anders und unterstuetzen die Entscheidung des Intendanten in einem offenen Brief. Und von Zensur konnte tatsaechlich keine Rede sein, denn ueber den Spielplan zu entscheiden, ist Recht und Pflicht der Intendanz.

Grundregel des Diskurses verletzt

Das staerkste Argument gegen die von Bozonnet verhaengte Boykottmassnahme, denn um nichts anderes handelt es sich, ist Handkes Stueck selbst: Es hat mit den politischen Ansichten seines Autors zum Balkan-Krieg nichts zu tun. Bozonnet hat denn auch nie behauptet, dass der Inhalt des Stueckes seine Entscheidung beeinflusst habe. Deshalb muss der Intendant sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er eine Grundregel des aesthetischen Diskurses verletzt hat. Die Regel besagt, dass Kunstwerke nicht ohne weiteres fuer die politischen ueberzeugungen ihrer Schoepfer haftbar gemacht werden duerfen.

Bei der Duesseldorfer Entscheidung verhaelt sich die Sache indes vollkommen anders. Denn der Heine-Preis ist keine rein literarische Auszeichnung, und er wird nicht fuer ein literarisches oder poetisches Gesamtwerk vergeben. In der Pressemitteilung der Stadt ist zu lesen: „Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heisst, durch den Rat der Landeshauptstadt Duesseldorf aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes ,Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, fuer die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten'.=

Kurze Begruendung

Will die Jury also allen Ernstes behaupten, Handkes Auftritt am Grab des Massenmoerders Milosevic habe der Voelkerverstaendigung gedient? Verbreitet die Schamlosigkeit, mit der Handke die serbischen Verbrechen beschoenigt und die ethnischen Saeuberungen geleugnet hat, die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen? Die Begruendung der Jury ist kurz, zwei Saetze sind es nur: „Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Handke hat Milosevic als „Opfer der Geschichte= bezeichnet und, wie Bernhard-Henri Levy juengst in Erinnerung gerufen hat, das Leid der Serben fuer groesser erklaert „als jenes der Juden in der Nazizeit=. Sieht so Eigensinn in der Tradition Heines aus?

Marcel Reich-Ranicki ist nicht dieser Ansicht: „Die Auszeichnung Peter Handkes mit dem Heine-Preis ist eine empoerende Beleidigung und Verhoehnung des Dichters Heine=, sagte der Literaturkritiker im Gespraech. Die Publizistin Alice Schwarzer hat erklaert, sie glaube, dass Handkes Mut Heine „vermutlich imponiert= haette.

Teile der Jury distanzieren sich

Diese Spekulation ist wohlfeil. Die Einschaetzung der Jury-Entscheidung darf nicht an den toten Heine delegiert werden, es muessen sich schon die Zeitgenossen der Unbequemlichkeit unterziehen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass Politiker wie der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Konrad Busek, oder der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Bundestag die Vergabe eines Literaturpreises kommentieren, ist ebenso ungewoehnlich wie der Umstand, dass sich Teile der Jury, der neben Vertretern der Stadt Duesseldorf unter anderen Sigrid Loeffler, Julius H. Schoeps, Christoph Stoelzl und Gabriele von Arnim angehoeren, bereits von der Entscheidung ihres Gremiums distanziert haben. Offen wird darueber gesprochen, dass sechzehn andere Kandidaten zur Wahl gestanden haetten, darunter Amos Oz und Irene Dische. Laut Berliner „Tagesspiegel= erwaegt ein Jurymitglied, der Preisverleihung im Dezember fernzubleiben.

Niemand will den Schriftsteller Peter Handke aechten, seine Stuecke sollen gespielt, seine Buecher sollen gedruckt und diskutiert werden. All das ist selbstverstaendlich und muss es bleiben. Aber die Duesseldorfer Entscheidung ist verstoerend in ihrer blinden Lust an der Provokation. Sie wird den Heine-Preis nachhaltig beschaedigen.

Text: F.A.Z., 27.05.2006, Nr. 122 / Seite 33
Bildmaterial: AP

====

Duesseldorf/Wien - Der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Exvizekanzler Erhard
Busek (oeVP), kritisierte die Stadt Duesseldorf, die am Dienstag bekannt
gegeben hatte, Peter Handke mit dem Heine-Preis (mit 50.000 Euro zaehlt er zu
den drei hoechstdotierten deutschen Literaturpreisen) auszuzeichnen: =Ich
halte die Entscheidung fuer sehr problematisch. Man beleidigt damit die
vielen Toten=, so Busek gegenueber der Rheinischen Post.



Auch der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Deutschen Bundestag,
Ruprecht Polenz (CDU), sowie der Vorsitzende des Kulturausschusses,
Hans-Joachim Otto (FDP), aeusserten sich kritisch. Emma-Chefredakteurin Alice
Schwarzer hingegen verteidigte die Entscheidung: =Handkes Mut haette Heine
vermutlich beeindruckt.= Sie spielte damit auf die Begruendung der Jury an,
die gemeint hatte, Handke verfolge eigensinnig wie Heinrich Heine den Weg zu
einer =offenen Wahrheit= und setze seinen poetischen Blick auf die Welt
ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung. (trenk, APA /DER STANDARD,
Print-Ausgabe, 26.5.2006)



http://derstandard.at/?id=2456875


26. Mai 2006 Jede Entscheidung einer literarischen Jury ist anfechtbar. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann in aller Regel bestens darueber streiten, ob ein Autor die ihm zugesprochene Auszeichnung verdient oder auch nicht verdient hat, und dieser Streit gehoert zu den ewigen Ritualen des literarischen Lebens. Die Jury, die den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu vergeben hatte, kann diese Routine nicht fuer sich in Anspruch nehmen. Ihre Entscheidung, Peter Handke auszuzeichnen, faellt nicht nur aus dem Rahmen des ueblichen, sie ist unerhoert.

Als unlaengst Marcel Bozonnet, der Direktor der angesehenen Comedie Francaise sich weigerte, Handkes Stueck „Das Spiel vom Fragen= in seinem Haus auf die Buehne zu bringen, sprachen manche Kommentare von einem Akt der Zensur. Mehr als hundert franzoesische Schriftsteller und Intellektuelle sahen das anders und unterstuetzen die Entscheidung des Intendanten in einem offenen Brief. Und von Zensur konnte tatsaechlich keine Rede sein, denn ueber den Spielplan zu entscheiden, ist Recht und Pflicht der Intendanz.

Grundregel des Diskurses verletzt

Das staerkste Argument gegen die von Bozonnet verhaengte Boykottmassnahme, denn um nichts anderes handelt es sich, ist Handkes Stueck selbst: Es hat mit den politischen Ansichten seines Autors zum Balkan-Krieg nichts zu tun. Bozonnet hat denn auch nie behauptet, dass der Inhalt des Stueckes seine Entscheidung beeinflusst habe. Deshalb muss der Intendant sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er eine Grundregel des aesthetischen Diskurses verletzt hat. Die Regel besagt, dass Kunstwerke nicht ohne weiteres fuer die politischen ueberzeugungen ihrer Schoepfer haftbar gemacht werden duerfen.

Bei der Duesseldorfer Entscheidung verhaelt sich die Sache indes vollkommen anders. Denn der Heine-Preis ist keine rein literarische Auszeichnung, und er wird nicht fuer ein literarisches oder poetisches Gesamtwerk vergeben. In der Pressemitteilung der Stadt ist zu lesen: „Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heisst, durch den Rat der Landeshauptstadt Duesseldorf aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes ,Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, fuer die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten'.=

Kurze Begruendung

Will die Jury also allen Ernstes behaupten, Handkes Auftritt am Grab des Massenmoerders Milosevic habe der Voelkerverstaendigung gedient? Verbreitet die Schamlosigkeit, mit der Handke die serbischen Verbrechen beschoenigt und die ethnischen Saeuberungen geleugnet hat, die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen? Die Begruendung der Jury ist kurz, zwei Saetze sind es nur: „Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Handke hat Milosevic als „Opfer der Geschichte= bezeichnet und, wie Bernhard-Henri Levy juengst in Erinnerung gerufen hat, das Leid der Serben fuer groesser erklaert „als jenes der Juden in der Nazizeit=. Sieht so Eigensinn in der Tradition Heines aus?

Marcel Reich-Ranicki ist nicht dieser Ansicht: „Die Auszeichnung Peter Handkes mit dem Heine-Preis ist eine empoerende Beleidigung und Verhoehnung des Dichters Heine=, sagte der Literaturkritiker im Gespraech. Die Publizistin Alice Schwarzer hat erklaert, sie glaube, dass Handkes Mut Heine „vermutlich imponiert= haette.

Teile der Jury distanzieren sich

Diese Spekulation ist wohlfeil. Die Einschaetzung der Jury-Entscheidung darf nicht an den toten Heine delegiert werden, es muessen sich schon die Zeitgenossen der Unbequemlichkeit unterziehen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass Politiker wie der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Konrad Busek, oder der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Bundestag die Vergabe eines Literaturpreises kommentieren, ist ebenso ungewoehnlich wie der Umstand, dass sich Teile der Jury, der neben Vertretern der Stadt Duesseldorf unter anderen Sigrid Loeffler, Julius H. Schoeps, Christoph Stoelzl und Gabriele von Arnim angehoeren, bereits von der Entscheidung ihres Gremiums distanziert haben. Offen wird darueber gesprochen, dass sechzehn andere Kandidaten zur Wahl gestanden haetten, darunter Amos Oz und Irene Dische. Laut Berliner „Tagesspiegel= erwaegt ein Jurymitglied, der Preisverleihung im Dezember fernzubleiben.

Niemand will den Schriftsteller Peter Handke aechten, seine Stuecke sollen gespielt, seine Buecher sollen gedruckt und diskutiert werden. All das ist selbstverstaendlich und muss es bleiben. Aber die Duesseldorfer Entscheidung ist verstoerend in ihrer blinden Lust an der Provokation. Sie wird den Heine-Preis nachhaltig beschaedigen.

Text: F.A.Z., 27.05.2006, Nr. 122 / Seite 33
Bildmaterial: AP

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Duesseldorf/Wien - Der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Exvizekanzler Erhard
Busek (oeVP), kritisierte die Stadt Duesseldorf, die am Dienstag bekannt
gegeben hatte, Peter Handke mit dem Heine-Preis (mit 50.000 Euro zaehlt er zu
den drei hoechstdotierten deutschen Literaturpreisen) auszuzeichnen: =Ich
halte die Entscheidung fuer sehr problematisch. Man beleidigt damit die
vielen Toten=, so Busek gegenueber der Rheinischen Post.



Auch der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Deutschen Bundestag,
Ruprecht Polenz (CDU), sowie der Vorsitzende des Kulturausschusses,
Hans-Joachim Otto (FDP), aeusserten sich kritisch. Emma-Chefredakteurin Alice
Schwarzer hingegen verteidigte die Entscheidung: =Handkes Mut haette Heine
vermutlich beeindruckt.= Sie spielte damit auf die Begruendung der Jury an,
die gemeint hatte, Handke verfolge eigensinnig wie Heinrich Heine den Weg zu
einer =offenen Wahrheit= und setze seinen poetischen Blick auf die Welt
ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung. (trenk, APA /DER STANDARD,
Print-Ausgabe, 26.5.2006)



http://derstandard.at/?id=2456875





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eis 2006 fuer Peter Handke

Jury: Eigensinnig wie Heine verfolgt er seinen Weg zu einer offenen Wahrheit

Der oesterreichische Schriftsteller Peter Handke wird mit dem Heine-Preis 2006 der Landeshauptstadt Duesseldorf ausgezeichnet. Der Heine-Preis zaehlt zu den bedeutendsten Literatur- und Persoenlichkeitspreisen in Deutschland. Er wird seit 1972 verliehen, war bislang mit 25.000 Euro dotiert und wurde ab 2006 auf 50.000 Euro angehoben. Zusammen mit dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt und dem Joseph-Breitbach-Preis (Mainz) haelt er mit dieser finanziellen Ausstattung den Spitzenplatz im deutschsprachigen Raum.

Peter Handke

Oberbuergermeister Joachim Erwin wird den Preis in einer Feierstunde am 13. Dezember - Heines 209. Geburtstag - ueberreichen. Die Preisverleihung bildet zugleich den wuerdigen Abschluss der Feierlichkeiten anlaesslich des 150. Todesjahres von Heinrich Heine. OB Erwin, der sich zurzeit mit einer Wirtschaftsdelegation in Moskau befindet, erreichte den designierten Preistraeger nach mehreren vergeblichen Versuchen am Dienstag telefonisch in Paris und informierte ihn ueber den Beschluss der Heine-Jury. Handke erklaerte, dass er die Auszeichnung mit Freuden annehmen werde.

Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heisst, durch den Rat der Landeshauptstadt Duesseldorf aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes =an Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, fuer die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten=.

Die Jury traf ihre Entscheidung in einer Sitzung am Samstag, 20. Mai. Sie begruendete ihr Votum wie folgt: =Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.=

Peter Handke - Kurzvita

Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen-Altenmarkt im oesterreichischen Kaernten geboren. Mit der Urauffuehrung seiner provozierenden Textattacke =Publikumsbeschimpfung= 1966 in Frankfurt/Main gelang ihm ein furioser Einstieg in die Literatur. Mit Werken wie =Die Angst des Tormanns beim Elfmeter=, =Ritt ueber den Bodensee=, =Die Unvernuenftigen sterben aus= oder =Der kurze Brief zum langen Abschied= sicherte sich Handke bereits in den 70er-Jahren einen Platz unter den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren seiner Generation.

Die neueren Theaterstuecke von Handke inszenierte mit Vorliebe der Intendant und Regisseur Claus Peymann. In Wien brachte er 1990 Handkes =Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land= heraus und 1992 =Die Stunde da wir nichts voneinander wussten=. Fuer erheblichen Wirbel sorgte Handke ab 1996 mit seinen Streitschriften (=Gerechtigkeit fuer Serbien=), Reiseberichten und Interviews zum Balkankrieg. Die mit Spannung erwartete Urauffuehrung von Handkes Balkankriegsstueck =Die Fahrt im Einbaum oder das Stueck zum Film vom Krieg= (1999) fand ebenfalls wieder in der Verantwortung von Claus Peymann statt.

Zum umfangreichen Werk des Schriftstellers und UEbersetzers Peter Handke zaehlen auch Drehbuecher, unter anderem zu den Filmen =Chronik der laufenden Ereignisse= (1970), =Falsche Bewegung= (1975), =Die linkshaendige Frau (1977)= und =Der Himmel ueber Berlin= (1987). Zahlreiche Auszeichnungen begleiten seinen kuenstlerischen Weg, darunter der Gerhart-Hauptmann-Preis, der Schiller-Preis, der Buechner-Preis und der Grosse OEsterreichische Staatspreis. (Quelle: Munzinger-Archiv)

Die Heine-Preis-Jury 2006

Der Heine-Preis-Jury 2006 gehoerten an: als vom Rat gewaehlte Mitglieder Sigrid Loeffler (Berlin), Prof. Dr. Julius H. Schoeps (Potsdam), Prof. Dr. Jean-Pierre Lefèbvre (Paris) und Prof. Dr. Christoph Stoelzl (Berlin), ferner Prof. Dr. Dr. Alfons Labisch (Rektor der Heine-Universitaet Duesseldorf), der Chef der NRW-Staatskanzlei und Staatssekretaer fuer Kultur Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (fehlte) sowie Dr. Gabriele von Arnim (fuer die Heinrich-Heine-Gesellschaft Duesseldorf); ausserdem als Vertreter der Stadt Oberbuergermeister Joachim Erwin (Jury-Vorsitzender), Buergermeister Dirk Elbers, Ratsherr Friedrich Conzen (Kulturausschuss-Vorsitzender), Ratsfrau Marit von Ahlefeld (stellvertretende Kulturausschuss-Vorsitzende) und Kulturdezernent Hans-Georg Lohe. Die staedtischen Mitglieder des Preisgerichts haben bestimmungsgemaess bei der Entscheidung jeweils eine, die uebrigen jeweils zwei Stimmen.

(23. Mai 2006)

Handke fuehlt sich falsch verstanden

Der designierte Heine-Preistraeger Peter Handke fuehlt sich von seinen Kritikern missverstanden: Er habe kein Massaker der Balkankriege geleugnet und er habe Slobodan Milosevic nicht als Opfer bezeichnet, sagte der oesterreichische Schriftsteller.

Frankfurt am Main - =Ich habe nie eines der Massaker in den Jugoslawienkriegen 1991 bis 1995 geleugnet oder abgeschwaecht, verharmlost oder gar gebilligt=, sagte Handke der =Frankfurter Allgemeinen Zeitung= (=FAZ=). Auch sei bei ihm nirgendwo zu lesen, er habe Milosevic als =ein= oder =das Opfer= bezeichnet, heisst es in einer Stellungnahme (=Was ich nicht sagte=) des 63-Jaehrigen zu einem kritischen Kommentar der Zeitung zur geplanten Verleihung des Heinrich-Heine-Preises an Handke.

DPA

Schriftsteller Handke: =Was ich nicht sagte=

Handke betonte, er habe sich im Februar 1999 vor der Kamera des Belgrader Fernsehens =verhaspelt=, als er in unzulaenglichem Franzoesisch gesagt habe, die Serben seien noch groessere Opfer als die Juden. Als er das Band abgehoert habe, habe er dies schleunigst schriftlich korrigiert, sagte Handke. Der Text sei auch von grossen Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt worden.

Handke bat in er der =FAZ= darum, seine in den vergangenen 15 Jahren zum Thema Jugoslawien veroeffentlichten Stuecke, Texte Erzaehlungen und Berichte =Wort fuer Wort= gelesen werden sollten, um Missverstaendnissen vorzubeugen. Es gebe noch =Buecher zu lesen jenseits der Zeitungen=, so Handke.

Im Maerz hatte Handkes Teilnahme an dem Begraebnis des ehemaligen jugoslawischen Staatschefs Milosevic fuer Kontroversen gesorgt. Er habe bei dem Begraebnis Milosevics, der vor dem Den Haager Kriegsverbrecher-Tribunal angeklagt war, Zeuge sein wollen, sagte Handke damals. Er habe auf den Tod des Ex-Staatschefs =nicht mit Genugtuung reagiert=. Er gestand, =so etwas wie Kummer empfunden zu haben=.

Der Heinrich-Heine-Preis zaehlt zu den bedeutendsten Literatur- und Persoenlichkeitspreisen in Deutschland. Er wird seit 1972 verliehen. In diesem Jahr wurde die Dotierung auf 50.000 Euro erhoeht. Handke wurde bekannt mit Werken wie =Die Angst des Tormanns beim Elfmeter=, =Ritt ueber den Bodensee=, =Die Unvernuenftigen sterben aus= oder =Der kurze Brief zum langen Abschied=. Waehrend die literarische Leistung Handkes unbestritten ist, geriet der Dichter immer wieder in die Kritik, nachdem er mehrmals oeffentlich fuer den serbischen Diktator Milosevic Partei ergriffen hatte.

Aufgrund dieser Kontroverse denkt der Schriftsteller Guenter Kunert darueber nach, seinen Heine-Preis zurueckzugeben, sollte der Preis an Handke verliehen werden. Er begreife nicht, wie Menschen nach der deutschen Geschichte mit Handke =den Barden eines Diktators preisen= koennten, sagte Kunert, der die Auszeichnung 1985 erhalten hatte, im Deutschlandradio Kultur. Die Ehrung Handkes sei eine Groteske.

Der Vorgang zeige, dass die deutsche Geschichte noch nicht bewaeltigt sei. Eine Ausgrenzung Handkes gebe es keineswegs, betonte der Schriftsteller: =Der wird ueberhaupt nicht ausgestossen. Es ist in Deutschland doch der Fall, dass Leute, die wie Handke gegen den so genannten Mainstream schwimmen, beglueckwuenscht werden.= Dabei sei der Mainstream nicht mehr als ein =duerftiges Baechlein=. Mit Heine habe diese Preisverleihung nichts zu tun.

bor/ddp

==der Vernunft in letzter Minute

Die Fraktionen im Duesseldorfer Rathaus kippen die Verleihung des Heinrich-Heine-Preises an Peter Handke

von Tilman Krause

Ein Glueck, dass es in diesem Lande wenigstens vernuenftige Politiker gibt. Sie und nicht die Schriftsteller, die sich in der vergangenen Woche in Berlin so lauthals gefeiert haben, sie und nicht die Intellektuellen, die fuer sich so gern Durchblick und moralische Hoeherwertigkeit in Anspruch nehmen, nein, Politiker haben jetzt dafuer gesorgt, dass jene Entscheidung zurueckgenommen wird, die man von Anfang an nur als abwegig, ja absurd bezeichnen konnte. Die Entscheidung naemlich, dem in politischer Hinsicht unzurechnungsfaehigen Autor Peter Handke den Heinrich-Heine-Preis zuzuerkennen. Einen politischen Preis, einen Preis, der ausdruecklich nicht fuer genuin literarische Qualitaeten zuerkannt wird (Qualitaeten, die man Peter Handke nicht absprechen wird). Vielmehr soll der Heinrich-Heine-Preis Persoenlichkeiten auszeichnen, =die den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammenhoerigkeit aller Menschen verbreiten=.

Die Politiker, die dem unwuerdigen Gezerre der letzten Tage ein Ende bereiten, sind die Mehrheitsfraktionen von SPD, FDP und Gruenen im Duesseldorfer Rathaus. Namens ihres Sprechers, des Geschaeftsfuehrers der FDP-Ratsfraktion Neuenhaus, haben sie ihren Beschluss wie folgt begruendet, mit Ruecksicht auf Handkes wieder und wieder vorgebrachtes Bekenntnis zu dem Diktator und Menschenrechtsverletzer Milosevic: =Wir sind der Auffassung, dass Handke sich mit seinem oeffentlichen Verhalten einem autoritaeren, verbrecherischen Regime angedient hat.= Ausdruecklich wird von den Politikern auch die Arbeit der Jury desavouiert, obwohl dieser auch Mitglieder des Stadtrates und Vertreter des Landes angehoerten. Ihr Votum fuer Handke sei schlicht und einfach ein =Fehler= gewesen, betonte Neuenhaus. Und noch eine weitere Konsequenz wird wohl aus der Affaere gezogen werden muessen, wenn es nach den Vorstellungen der SPD-Ratsfraktion geht: In diesem Jahr duerfe es gar keinen Heine-Preis geben, schlug sie vor. Jeder andere Preistraeger muesse das Gefuehl haben, =zweite Wahl= zu sein, eine Argumentation, der sich auch CDU und FDP anschliessen.

Diese Massnahmen seien der =einzige Weg, auf einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zu reagieren=, meinte Annette Steller von der SPD. Auch in diesem Punkte muss man der Politik Recht geben: Ein nicht wieder gutzumachender Schaden ist naemlich geschehen. Der Schaden, der nicht nur in der ablehnenden Reaktion einer breiten OEffentlichkeit besteht (Guenter Kunert beispielsweise hatte im Deutschlandradio erwogen, seinen ihm 1985 verliehenen Heine-Preis zurueckgegeben, wenn Handke gekuert worden waere). Der Schaden auch, der im Verhalten der Jury lag.

Wie ja laengst durchgesickert ist, war die Wahl in der Jury selbst immerhin umstritten. Wie es scheint, sind es vor allem der Duesseldorfer Oberbuergermeister Joachim Erwin, ein Mann von der CDU mit viel Sinn fuer Remmidemmi, und die Literaturkritikerin Sigrid Loeffler mit ihrem =beharrlichem Trommelwirbel= fuer den =Weltliteraten= Handke, wie ein Jurymitglied sich ausdrueckte, gewesen, die Handke favorisierten. Man begreift nicht, wie eine so grosse Jury, zu der neben Vertretern der Stadt auch Julius Schoeps, Christoph Stoelzl und Gabriele von Arnim gehoerten, sich von diesen beiden Juroren majorisieren liess. Nur Elfriede Jelinek haelt Handke weiterhin die Stange und zeigt sich =entsetzt= ueber die Entscheidung des Duesseldorfer Stadtrates. Und Handke gibt zu Protokoll: =Nirgendwo bei mir kann man lesen, ich haette Milosevic als =ein= oder =das Opfer= bezeichnet.=

Vielleicht stellt dieser peinliche Vorfall endlich einen Anlass dar, ueber einige heilige Kuehe des oeffentlichen Diskurses nachzudenken. Die Begruendung der Jury hiess ja: =Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Eigensinn und Ruecksichtslosigkeit sind Verhaltensmuster von Kindern. Warum soll man Schriftsteller dafuer preisen?

Artikel erschienen am Mi, 31. Mai 2006

Politiker wollen Handke-Ehrung verhindern

Der Duesseldorfer Stadtrat will die umstrittene Auszeichnung des Dichters Peter Handke mit dem Heinrich-Heine-Preis verhindern. Die Fraktionen von SPD, FDP und Gruenen haben sich darauf verstaendigt, das Preisgeld nicht auszuzahlen.

Duesseldorf - =Wir werden das Geld nicht zur Verfuegung stellen=, sagte Manfred Neuenhaus, Geschaeftsfuehrer der FDP-Ratsfraktion, heute der dpa. Zuvor hatten sich die im Duesseldorfer Stadtrat vertretenen Fraktionen von SPD, FDP und Gruenen darauf verstaendigt, die Vergabe des Heine-Preises an Peter Handke zu vereiteln. Auch in der CDU- Fraktion wird es laut Buergermeister Dirk Elbers keine Mehrheit fuer Handke geben.

DPA

Dramatiker Handke: Keine Unterstuetzung aus dem Stadtrat

Eigentlich haette die Vergabe des mit 50.000 Euro dotierten Preises am 22. Juni in der Ratssitzung vom Stadtparlament bestaetigt werden sollen. Die Verleihung des renommierten Heine-Preises ist fuer 13. Dezember geplant. Eine unabhaengige Jury aus Literaturexperten, Mitgliedern des Stadtrates und einem Vertreter des Landes hatte fuer Handke als Preistraeger votiert. =Eigensinnig wie Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit=, hiess es zur Begruendung.

Der oesterreichische Dichter und Dramatiker steht jedoch seit Jahren wegen seiner positiven Haltung zum ehemaligen serbischen Diktator Slobodan Milosevic in der Kritik, so dass sich ob der Nachricht in den Feuilletons ein nachhaltiger Proteststurm regte.

=Wir sind der Auffassung, dass Handke sich mit seinem oeffentlichen Verhalten einem autoritaeren, verbrecherischen Regime angedient hat=, sagte FDP-Politiker Neuenhaus der dpa. Mit ueberlieferten AEusserungen Handkes zum Balkankrieg wie =Die Nato hat kein Auschwitz verhindert, sondern eines geschaffen= sei aus Sicht seiner Partei eine Grenze erreicht. Das Jury-Votum fuer Handke sei laut Neuenhaus ein Fehler gewesen.

Der Heine-Preis ist =eindeutig ein politischer, kein Literaturpreis=, begruendete Karin Trepke, Geschaeftsfuehrerin der Duesseldorfer Ratsfraktion der Gruenen, das =einhellig= ablehnende Votum ihrer Partei. Grund: =Der Preis kann nicht an jemanden verliehen werden, der sich wie Handke in die Naehe Slobodan Milosevics begeben hat.= Die Ablehnung sei der =einzige Weg=, auf einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zu reagieren, sagte Annette Steller, Geschaeftsfuehrerin der SPD-Ratsfraktion, ebenfalls gegenueber dpa. Handke koenne nicht mit einem Preis ausgezeichnet werden, mit dem eine Persoenlichkeit geehrt werden soll, die sich um Grundrechte und Voelkerverstaendigung verdient gemacht habe.

Der wegen seines Fehlens bei der Abstimmung in die Kritik geratene nordrhein-westfaelische Kulturstaatssekretaer Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU) soll sich morgen auf Betreiben der NRW-Gruenen in der Fragestunde des Parlamentes rechtfertigen. Der Landespolitiker hatte seine Nicht-Teilnahme laut dpa =mit der nachhaltig fehlenden Bereitschaft des Oberbuergermeisters= begruendet, =mit dem Land partnerschaftlich zusammen zu arbeiten=.

Die nordrhein-westfaelische SPD nannte Grosse-Brockhoffs Haltung =inakzeptabel=, die Gruenen kritisierten sie als =laecherlich=. Nach Angaben der Gruenen haette Grosse-Brockhoff die Jury-Entscheidung mit den ihm zustehenden zwei Stimmen verhindern koennen. Inhaltlich hatte der Kulturstaatssekretaer das Jury-Votum kritisiert: Wer wie Handke den Holocaust relativiere, stehe in keiner Weise in der Tradition Heinrich Heines und sei nicht preiswuerdig.

Peter Handke selbst hat unterdessen in einem in der =Frankfurter Allgemeinen Zeitung= abgedruckten Statement abgestritten, Slobodan Milosevic als =Opfer= bezeichnet zu haben. Auch habe er zu keiner Zeit die im Balkankrieg begangenen Massaker realitiviert.

Nach Meinung der SPD-Ratsfraktion solle es in diesem Jahr schlicht keinen Heine-Preis geben. Die FDP moechte das diesjaehrige Preisgeld im Geiste des zu Lebzeiten verarmten Heine an die Deutsche Kuenstlerhilfe stiften. Den Preis einem anderen Autor zu zuerkennen komme aus Sicht von CDU und FDP nicht in Frage. Gemeinsame Befuerchtung: Die Ausgezeichneten koennten das Gefuehl haben, =zweite Wahl= zu sein. Konkurrenten Handkes in waren in unter anderem Amos Oz und Irene Dische.

bor/dpa

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Peter Handke [ NOW THAT THEY HAVE ROUSED THE BEAST OF THE FOREST OF CHAVILLE.....] calls for an end to all comparison of Bosnian and Serbian

crimes. Historian Goetz Aly calls for a complete overhaul of the

historical contextualisation of the Holocaust. Hans Magnus

Enzensberger looks at the high costs of the death cult. And authors

Zafer Senocak and Ilija Trojanov look at which side is more

influential in Germany's 'foreign infiltration trend'.

http://signandsight.com/intodaysfeuilletons/788.html

Preis 2006 fuer Peter Handke

Jury: Eigensinnig wie Heine verfolgt er seinen Weg zu einer offenen Wahrheit

Der oesterreichische Schriftsteller Peter Handke wird mit dem Heine-Preis 2006 der Landeshauptstadt Duesseldorf ausgezeichnet. Der Heine-Preis zaehlt zu den bedeutendsten Literatur- und Persoenlichkeitspreisen in Deutschland. Er wird seit 1972 verliehen, war bislang mit 25.000 Euro dotiert und wurde ab 2006 auf 50.000 Euro angehoben. Zusammen mit dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt und dem Joseph-Breitbach-Preis (Mainz) haelt er mit dieser finanziellen Ausstattung den Spitzenplatz im deutschsprachigen Raum.

Peter Handke Oberbuergermeister Joachim Erwin wird den Preis in einer Feierstunde am 13. Dezember - Heines 209. Geburtstag - ueberreichen. Die Preisverleihung bildet zugleich den wuerdigen Abschluss der Feierlichkeiten anlaesslich des 150. Todesjahres von Heinrich Heine. OB Erwin, der sich zurzeit mit einer Wirtschaftsdelegation in Moskau befindet, erreichte den designierten Preistraeger nach mehreren vergeblichen Versuchen am Dienstag telefonisch in Paris und informierte ihn ueber den Beschluss der Heine-Jury. Handke erklaerte, dass er die Auszeichnung mit Freuden annehmen werde.

Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heisst, durch den Rat der Landeshauptstadt Duesseldorf aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes =an Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, fuer die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten=.

Die Jury traf ihre Entscheidung in einer Sitzung am Samstag, 20. Mai. Sie begruendete ihr Votum wie folgt: =Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.=

Peter Handke - Kurzvita

Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen-Altenmarkt im oesterreichischen Kaernten geboren. Mit der Urauffuehrung seiner provozierenden Textattacke =Publikumsbeschimpfung= 1966 in Frankfurt/Main gelang ihm ein furioser Einstieg in die Literatur. Mit Werken wie =Die Angst des Tormanns beim Elfmeter=, =Ritt ueber den Bodensee=, =Die Unvernuenftigen sterben aus= oder =Der kurze Brief zum langen Abschied= sicherte sich Handke bereits in den 70er-Jahren einen Platz unter den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren seiner Generation.

Die neueren Theaterstuecke von Handke inszenierte mit Vorliebe der Intendant und Regisseur Claus Peymann. In Wien brachte er 1990 Handkes =Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land= heraus und 1992 =Die Stunde da wir nichts voneinander wussten=. Fuer erheblichen Wirbel sorgte Handke ab 1996 mit seinen Streitschriften (=Gerechtigkeit fuer Serbien=), Reiseberichten und Interviews zum Balkankrieg. Die mit Spannung erwartete Urauffuehrung von Handkes Balkankriegsstueck =Die Fahrt im Einbaum oder das Stueck zum Film vom Krieg= (1999) fand ebenfalls wieder in der Verantwortung von Claus Peymann statt.

Zum umfangreichen Werk des Schriftstellers und UEbersetzers Peter Handke zaehlen auch Drehbuecher, unter anderem zu den Filmen =Chronik der laufenden Ereignisse= (1970), =Falsche Bewegung= (1975), =Die linkshaendige Frau (1977)= und =Der Himmel ueber Berlin= (1987). Zahlreiche Auszeichnungen begleiten seinen kuenstlerischen Weg, darunter der Gerhart-Hauptmann-Preis, der Schiller-Preis, der Buechner-Preis und der Grosse OEsterreichische Staatspreis. (Quelle: Munzinger-Archiv)

Die Heine-Preis-Jury 2006

Der Heine-Preis-Jury 2006 gehoerten an: als vom Rat gewaehlte Mitglieder Sigrid Loeffler (Berlin), Prof. Dr. Julius H. Schoeps (Potsdam), Prof. Dr. Jean-Pierre Lefèbvre (Paris) und Prof. Dr. Christoph Stoelzl (Berlin), ferner Prof. Dr. Dr. Alfons Labisch (Rektor der Heine-Universitaet Duesseldorf), der Chef der NRW-Staatskanzlei und Staatssekretaer fuer Kultur Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (fehlte) sowie Dr. Gabriele von Arnim (fuer die Heinrich-Heine-Gesellschaft Duesseldorf); ausserdem als Vertreter der Stadt Oberbuergermeister Joachim Erwin (Jury-Vorsitzender), Buergermeister Dirk Elbers, Ratsherr Friedrich Conzen (Kulturausschuss-Vorsitzender), Ratsfrau Marit von Ahlefeld (stellvertretende Kulturausschuss-Vorsitzende) und Kulturdezernent Hans-Georg Lohe. Die staedtischen Mitglieder des Preisgerichts haben bestimmungsgemaess bei der Entscheidung jeweils eine, die uebrigen jeweils zwei Stimmen.

(23. Mai 2006)

Am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen

In der eher klaeglich verlaufenden Debatte um die diesjaehrige Verleihung des Heinrich-Heine-Preises aeussert sich der umstrittene Autor nun selber: Hier die Stellungnahme von Peter Handke zu den Vorwuerfen gegen seine proserbischen Positionen.

Am 20. Mai war Peter Handke der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zugesprochen worden. Am Dienstag haben die Fraktionen des Stadtrats nach Protesten wegen Handkes pro-serbischer Haltung angekuendigt, das Preisgeld zu verweigern.

Ich muss ernsthaft sein und ruhig antworten auf die Vorwuerfe, die mir seit vielen Jahren und jetzt wieder, nach der Zusprechung (und der angedrohten Nicht-Vergabe) des Heinrich-Heine-Preises entgegengehalten werden. Ich muss es fuer die Leser tun, fuer die redlichen Leser — uebrigens eine Tautologie, denn ein unredlicher oder voreingenommener Leser ist nie ein Leser.

Ballern mit Wortgeschossen

Also: Hoeren wir einander endlich an, statt uns aus feindlichen Lagern anzubellen und -zuheulen. Und tolerieren wir die boesen Wesen (?) oder Geister (?) nicht mehr, die im Zusammenhang mit dem tragischen Jugoslawien-Problem weiterhin mit Wort-Geschossen wie „Revisionismus=, „Apartheid=, „Hitler=, „blutige Diktatur= etc. ballern. Lassen wir, was die Kriege in Jugoslawien angeht, alle Vergleiche und alle Parallelen sein.

Fortsetzung (Seite 1/4) 1 | 2 | 3 | 4

Vielleicht irre ich mich in den juristischen Termini: aber die schreckliche Antwort, die abscheuliche Rache der serbischen Streitkraefte (nicht nur fuer die Morde in Kravica, sondern auch fuer die waehrend dreieinhalb Jahren in circa dreissig Doerfern um das muslimische Srebrenica begangenen Verbrechen) ist, da sie sich ausschliesslich gegen Soldaten und/oder muslimische Maenner richtete, als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit= zu bezeichnen: Nuance, die, Ausnahme unter den sonst so wichtigen „Nuancen=!, fast nicht zaehlt angesichts von Tausenden und Abertausenden bosno-serbischen Verbrechen, ja und ja, gegen die Menschlichkeit.

Und davon abgesehen – und das ist es, was die Leser in ihren Herzen endlich verstehen muessen – sind die Zahlen der jungen und weniger jungen Toten in den bosnischen Kriegen auf allen Seiten, bei den Muslimen, den Kroaten, den Serben, fast auf gleicher Hoehe – warum nicht auch einmal den Friedhof von Visegrad besuchen, den riesigen Friedhof von Vlasenica?

Und vor allem, ich wiederhole es voller Trauer: Ich wollte nie sagen, und habe an keiner Stelle gesagt, das Massaker von Kravica sei „der einzige Genozid= in Bosnien gewesen, sondern ein Verbrechen, auf das dieses Wort zutrifft – es gab andere bosno-serbische, muslimische, kroatische Massaker, die mit diesem Terminus bezeichnet werden koennen.

IBleiben wir bei den Tatsachen eines von einem unredlichen oder wenigstens unwissenden Europa angezettelten oder wenigstens koproduzierten Buergerkriegs, die auf allen Seiten schrecklich sind. Hoeren wir auf, Slobodan Milosevic mit Hitler zu vergleichen.

Hoeren wir auf, in ihm und seiner Frau Mira Markovic Macbeth und seine Lady zu sehen oder Parallelen zwischen dem Paar und dem Diktator Ceausescu und seiner Frau Elena zu ziehen. Und verwenden wir nie mehr fuer die waehrend des Sezessionskriegs in Jugoslawien eingerichteten Lager das Wort „Konzentrationslager=.

Wahr ist: Es gab zwischen 1992 und 1995 auf dem Gebiet der jugoslawischen Republiken, vor allem in Bosnien, Gefangenenlager, und es wurde in ihnen gehungert, gefoltert und gemordet. Aber hoeren wir auf, diese Lager in unseren Koepfen mechanisch mit den Bosno-Serben zu verbinden: Es gab auch kroatische und muslimische Lager, und die dort und dort begangenen Verbrechen werden im Tribunal von Den Haag geahndet.

Ich wiederhole voller Wut

Und hoeren wir schliesslich auf, die Massaker (unter denen, im Plural, diejenigen von Srebrenica im Juli 1995 tatsaechlich bei weitem die abscheulichsten sind) dem serbischen (Para)-Militaer zuzuschreiben. Ich wiederhole aber, wuetend, wiederhole voller Wut auf die serbischen Verbrecher, Kommandanten, Planer: Es handelt sich bei Srebrenica um das schlimmste „Verbrechen gegen die Menschlichkeit=, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde.

ahr ist: Ich war im Juni 1996 zum ersten Mal (und danach noch um die zehn Mal) in Srebrenica und in den ebenfalls zerstoerten serbischen Doerfern ringsum, und habe danach ein kleines Buch geschrieben („Sommerlicher Nachtrag zu einer Winterlichen Reise=). Wahr ist, dass ich in diesem Nachtrag auch von den bluehenden Baeumen erzaehle, von den Erdbeeren auf den Huegeln um Srebrenica, aber natuerlich (entschuldige, Leser, dass ich mich erklaere, aber die Beschreibung dieser Natur wird mir immer wieder vorgeworfen), um die furchtbare Zerstoerung in und um Srebrenica und die Todesstille noch spuerbarer zu machen.

Und der Kern des Nachtrags: die endlosen Schreie eines serbischen Mannes aus Srebrenica, der, zwischen den Ruinen, am Sommerabend (Schwalben!) zu seinem Haus (?) zurueckkehrt (?) und auf dem Weg gegen sein eigenes Volk anbruellt, sein Volk verflucht und verflucht, und am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen vor lauter Wut und Schmerz.

Hoeren wir auch – endlich – den UEberlebenden der muslimischen Massaker zu, in den vielen serbischen Doerfern um das – muslimische – Srebrenica, jener in den drei Jahren vor dem Fall Srebrenicas wiederholt begangenen und von dem Stadtkommandanten befehligten Massaker, die im Juli 1995 – schreckliche Rache und ewige Schande fuer die verantwortlichen Bosno-Serben – zu dem grossen Gemetzel fuehrten, „dem groessten in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg=.

Auch andere Muetter hoeren

Fuegen wir immerhin hinzu, dass alle Soldaten oder muslimischen Maenner aus Srebrenica, die die Drina – die Grenze zwischen den beiden Staaten – ueberquerten und aus Bosnien in das damals von Milosevic regierte Serbien flohen, dass all diese Soldaten, die in dem „feindlichen= Serbien ankamen, heil blieben – hier, kein Gemetzel, keine Massaker.

Ja, hoeren wir, nachdem wir „die Muetter von Srebrenica= gehoert haben, auch die Muetter, oder auch nur eine Mutter des nahe gelegenen serbischen Dorfes Kravica, wenn sie von dem an der orthodoxen Weihnacht 1992/1993 von den muslimischen Streitkraeften Srebrenicas begangenen Massaker erzaehlt, dem auch Frauen und Kinder zum Opfer fielen (und nur fuer ein solches Verbrechen trifft das Wort „Genozid= zu).

ch konnte nicht glauben, eine derartige Dummheit tatsaechlich ausgesprochen zu haben

Und hoeren wir auf, die „Sniper= von Sarajewo blindlings mit den „Serben= zu verbinden: Die meisten der in Sarajewo getoeteten franzoesischen Blauhelme sind Opfer muslimischer Schuetzen geworden. Und hoeren wir auf, die (furchtbare, dumme, unverstaendliche) Belagerung Sarajewos ausschliesslich mit der bosno-serbischen Armee in Verbindung zu bringen: Im Sarajewo der Jahre 1992 bis 1995 blieb die serbische Bevoelkerung zu Zehntausenden in zentralen Vierteln wie Grbavica gefangen, die ihrerseits – und wie! – von muslimischen Streitkraeften belagert wurden. Und hoeren wir auf, die Vergewaltigungen ausschliesslich den Serben zuzuschreiben. Und hoeren wir auf mit Worten à la Pawlowscher Hund.

Waehrend der Vorbereitungen des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien war ich mehrfach in Rambouillet, und am Ende, angesichts des voraussehbaren Scheiterns der „Verhandlungen=, des westlichen Diktats, von einem Belgrader Fernsehsender befragt, habe ich das serbische Volk (in meinem Herzen die Bombardierung, die Besatzung und die Lager, vor allem Jasenovac, das Nazi-Kroatien unter der deutschen Besatzung in Jugoslawien 1941 bis 1944) mit dem juedischen Volk verglichen. Und da, in meiner, glaub' mir, Leser, Leserin, Not, in dem Durcheinander in meinem Kopf, habe ich tatsaechlich einen Satz gesagt, der in etwa lautete „die Serben sind noch groessere Opfer als die Juden...=

Von den deutschen Medien spaeter darauf angesprochen, konnte ich nicht glauben, eine derartige Dummheit tatsaechlich ausgesprochen zu haben — zumal diese Dummheit ueberhaupt nicht zu meinem Gefuehl im Moment des auf Franzoesisch vor der Kamera abgegebenen Statements passte. Unglaeubig hoerte ich das Tonband an — und, indeed, ich hatte auf laecherliche Weise die Worte verwechselt. Aber Achtung! Ich habe mich sofort schriftlich korrigiert — und die deutschen Medien haben meine Korrektur veroeffentlicht — die Frankfurter Allgemeine Zeitung Wort fuer Wort — ohne jeden Kommentar — die schriftliche Richtigstellung meiner Verwechslung wurde damals akzeptiert. Warum jetzt nicht mehr?

Zu meiner Mini-Rede veranlasst

Ja, und ich war in Pozarevac, bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic. Warum, habe ich im Focus vom 27. Maerz 2006 erklaert: Es war die Sprache, die mich auf den Weg brachte, die Sprache einer so genannten Welt, die die Wahrheit wusste ueber diesen „Schlaechter= und „zweifellos= schuldigen „Diktator=, dem noch sein Tod zur Schuld gereichen sollte, weil er sich „vor dem Schuldspruch, ohne Zweifel lebenslaenglich, weggestohlen= habe – warum, fragte ich, bedurfte es da noch eines Gerichtes, um ihn schuldig zu sprechen?

Solche Sprache war es, die mich veranlasst zu meiner Mini-Rede in Pozarevac – in erster und letzter Linie solche Sprache, nicht eine Loyalitaet zu Slobodan Milosevic, sondern die Loyalitaet zu jener anderen, der nicht journalistischen, der nicht herrschenden Sprache.

Verbreitern wir die OEffnung. Auf dass die Bresche nie wieder von schlimmen oder vergifteten Worten verstopft werde. Hinaus boese Geister. Verlasst endlich die Sprache. Lernen wir die Kunst des Fragens, reisen wir ins sonore Land, im Namen Jugoslawiens, im Namen eines anderen Europas. Es lebe Europa. Es lebe Jugoslawien. Zivela Jugoslavija.

Der Text ist eine vom Autor bearbeitete, veraenderte und ergaenzte Fassung zweier Artikel, die in der franzoesischen Tageszeitung Libération erschienen sind und von Anne Weber aus dem Franzoesischen ueber setzt wurden.

--

Botho Strauss

01. Juni 2006

Was bleibt von dem Gefangenen im Pisaner Kaefig, dem gegen Roosevelt eifernden Faschisten? Es bleibt der ueberragende Rhapsode und Poet, der Matador der Moderne, der reiche Anreger und Talentefoerderer Ezra Pound.

Was bleibt von dem beruechtigten Rechtslehrer Carl Schmitt, dem man Mitwirkung an den Nuernberger Rassengesetzen nachwies? Es bleibt der einflussreichste Staatsrechtler des zwanzigsten Jahrhunderts, der intuitivste Denker ueber Verfassungs- und Rechtsgeschichte, dessen Einfluss weit ueber die Grenzen Deutschlands hinaus lebendig blieb.

Von Heidegger zu sprechen und dabei seine Rolle als brauner Universitaetsrektor hervorzuheben erweist sich inzwischen als Laecherlichkeit. Was bleibt aber von Brecht, einem Dichter, dem die Revolution wichtiger als Menschenleben war und der gegen den blutigen Stalin nur ein wenig Dialektik ins Feld fuehrte? Es bleibt einer, der die Dramaturgie des Theaters nachhaltiger veraenderte als jeder andere europaeische Autor und der noch bis tief in die Mentalitaet und Empfindungskaelte des heutigen Theaters beherrschend wirkt.

Eine Wegscheide des Sehens, Fuehlens und Wissens

Was bleibt schliesslich von dem angeblichen Saenger des grossserbischen Reichs, Peter Handke? Nicht nur der sprachgeladenste Dichter seiner Generation, sondern wie nur UEberragende es sind, ein Episteme-Schaffender (nach dem Wortgebrauch Foucaults), eine Wegscheide des Sehens, Fuehlens und Wissens in der deutschen Literatur.

Wer Schuld und Irrtum nicht als Stigmata (im Grenzfall sogar Stimulantien) der Groesse erkennt, sollte sich nicht mit wirklichen Dichtern und Denkern beschaeftigen, sondern nur mit den richtigen. Wir leben gottlob noch nicht in einer Lea-Rosh-Kultur, in der sich deutscher Geist nur geduckt bewegen soll oder rueckschaudernd erstarren und jede erhobene Stirn, etwa zum Ausschauhalten, als pietaetlos und missliebig angesehen wird.

Aber das allgemein Richtige, ein Gezuecht unserer konsensitiv geschlossenen OEffentlichkeit, ist dennoch ein am Boden schleifendes traeges Ungetuem, wie sehr es sich auch selbst gefallen mag.

Einige andere aber muessen in der Hoehe sich haerter ausbilden und werden selbst aus einer Verrannt- oder Verstiegenheit heraus mehr Gutes unter die Menschen bringen als je tausend Richtige zusammen.

Text: F.A.Z., 01.06.2006, Nr. 126 / Seite 37

Bildmaterial: F.A.Z.-Barbara Klemm

Streit ueber Heine-Preis

Handke verurteilt Massaker von Srebrenica

Im Streit ueber die Vergabe des Heinrich-Heine-Preises hat sich der Schriftsteller Peter Handke erstmals ausfuehrlich gegen seine Kritiker zur Wehr gesetzt.

Von Hans-Joerg Heims und Thomas Steinfeld

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Peter Handke

Am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen

Handke und kein Preis

Die Selbstinszenierung der ueblen Nachrede

Handke, dem Parteinahme fuer den verstorbenen serbischen Praesidenten Slobodan Milosevic vorgeworfen wird, verweist in einem Beitrag fuer die Sueddeutsche Zeitung darauf, dass von allen Beteiligten der jugoslawischen Kriege Verbrechen begangen worden seien.

Ausdruecklich bezeichnet er das Massaker serbischer Kraefte an Muslimen vom Juli 1995 in Srebrenica als „das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde=. Srebrenica, schreibt der Schriftsteller, sei eine „abscheuliche Rache der serbischen Streitkraefte= gewesen.

Seine ebenfalls scharf monierte Teilnahme an der Beisetzung Milosevics im Maerz rechtfertigt Handke damit, er habe gegen eine Vorverurteilung Milosevics und die Sprache der Medien angehen wollen. Loyalitaet zu Milosevic sei nicht das Motiv gewesen.

Der oesterreichische Autor plaediert fuer ein offenes Gespraech ueber diesen Krieg und seine Folgen. Bislang hatte sich Handke nicht direkt zum Streit um den Heine-Preis geaeussert. Die Jury hatte ihm den mit 50000 Euro dotierten Preis am 20. Mai zugesprochen. Sie begruendete ihre Entscheidung damit, dass Handke „eigensinnig wie Heinrich Heine in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit= verfolge.

Zu den Befuerwortern gehoerten in der zwoelfkoepfigen Jury die Literaturkritikerin Sigrid Loeffler, der Rektor der Duesseldorfer Heinrich-Heine-Universitaet, Alfons Labisch, Oberbuergermeister Joachim Erwin (CDU) und Kulturdezernent Hans-Georg Lohe. Das Votum war mit sieben gegen fuenf Stimmen gefallen.

Die Entscheidung hatten aber auch jene fuenf Mitglieder mitgetragen, die andere Kandidaten bevorzugten. Die Empfehlung der Jury muss vom Duesseldorfer Stadtrat bestaetigt werden, da er das Preisgeld bewilligt. Die Fraktionen im Stadtrat erklaerten aber inzwischen, sie lehnten Handke als Preistraeger ab. Das wiederum loeste Empoerung unter Literaten aus.

Der Jury-Sitzung fern geblieben war der Vertreter des Landes, Nordrhein-Westfalens Kultur-Staatssekretaer Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff. Der SZ sagte Grosse-Brockhoff, er haette nicht fuer Handke gestimmt. „Ich haette nicht im Traum gedacht, dass es fuer Handke in der Jury eine Mehrheit geben wuerde=, sagte er. „Haette ich das geahnt, haette ich an der Sitzung teilgenommen.=

Die Fraktionen im Duesseldorfer Stadtrat begruendeten ihre Ablehnung damit, dass Handke Milosevic zu nahe gewesen sei. Grosse-Brockhoff begruesste dieses Votum. Rektor Labisch liess mitteilen, er stehe zu der Jury-Entscheidung.

Die Literaturkritikerin Loeffler protestierte gegen oeffentlichen AEusserungen einiger ihrer Kollegen. Der SZ sagte sie: „Jury-Sitzungen muessen vertraulich bleiben. Es ist eine unglaubliche Verwahrlosung von guten Jury-Sitten, wenn Juroren diese Verschwiegenheit brechen.=

Peter Handke

Was ich nicht sagte

Von Peter Handke

Moechte wieder gelesen werden: Peter Handke

29. Mai 2006

Den Kommentar in der F.A.Z. zur Verleihung des Heinrich-Heine-Preises (siehe auch FAZ.NET-Spezial: Handke und der Heine-Preis) benutze ich, einige Richtigstellungen zu den der Zeitung unterlaufenen Irrtuemern zu versuchen - im Bewusstsein (und aus der Erfahrung), dass jede einzelne meiner Berichtigungen wieder eine Mehr- oder Unzahl neuer und anderweitiger Irrtuemer (hm) ausloesen wird.

1. Ich habe nie eins der Masaker in den Jugoslawienkriegen 1991-95 geleugnet, oder abgeschwaecht, oder verharmlost, oder gar gebilligt.

2. Nirgendwo bei mir kann man lesen, ich haette Slobodan Milosevic als „ein= oder „das Opfer= bezeichnet.

3. Richtig ist: Anlaesslich des okzidentalen Diktats gegen Jugoslawien von Rambouillet, im Februar 1999, habe ich mich, wie die Welt seit damals weiss, vor der Kamera des Belgrader Fernsehens verhaspelt, wobei herauskam, in meinem Franzoesisch, die Serben seien noch groessere Opfer als die Juden - was ich dann, nachdem ich, unglaeubig, das Band mit dem von mir produzierten Un-Sinn angehoert hatte, schleunigst schriftlich korrigierte: Text, seinerzeit von „Focus= veroeffentlicht und von der F.A.Z. Wort fuer Wort, einmal ohne Kommentar, umgehend nachgedruckt.

Phantom-Titel: Wilder Mann

Ein P.S. noch fuer eine mir und vielleicht auch diesem oder jenem Leser wichtige letzte (versuchte) Berichtigung: Vor kurzem, wiederum in der F.A.Z., in einer der wie gewohnt geistvollen, hochherzigen und einfuehlsamen Glossen des Theatersachverstaendigen der Zeitung, die meine Person oder meinen Phantom-Titel „Der wilde Mann= zum Vorwurf nahm (P.H., borniert, Kitschier, Befuerworter von Kriminellen et cetera), war auch von meinem Stueck „Die Fahrt im Einbaum= die Rede, worin ich angeblich das serbische Volk als eines schildere oder gar preise, welches Europa das Essen mit Messer und Gabel beigebracht habe, und ueberhaupt die Kultur. Richtig ist wieder, dass in dem Stueck (Seite 65) eine Figur sagt: „Dabei waren wir es, die euch jahrhundertelang die asiatischen Horden ferngehalten haben. Und ohne uns wuerdet ihr immer noch mit den Fingern fressen. Wer war es, der in die westliche Welt Messer und Gabel eingefuehrt hat?= Nur: ist es noetig zu sagen, dass es sich hier um eine Parodie handelt? Noetig anzufuehren jedenfalls der Rollenname jener kleinen Figur: „IRRER=.

Und in diesem Sinne wuensche ich, dass all meine (6) Aufzeichnungen, Erzaehlungen, Berichte, Stuecke der letzten fuenfzehn Jahre zu Jugoslawien Wort fuer Wort gelesen wuerden, und anders sachverstaendig: „Abschied des Traeumers vom neunten Land= (1991), „Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina= (1996), „Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise= (1996), „Die Fahrt im Einbaum oder Das Stueck zum Film vom Krieg= (1999), „Unter Traenen fragend= (1999) (alle bei Suhrkamp), und zuletzt „Die Tablas von Daimiel=, Juni 2005 („Literaturen=). Mir duenkt, mich beduenkt, fuer diese Schriften ist der Heinrich-Heine-Preis. Es gibt noch Buecher zu lesen jenseits der Zeitungen.

„Ah, die alte Frau dort, meine Leserin, / die einzige, die mich noch gruesst? / Und wenn sie mich nicht gruesst? / Was fuer ein Abenteuer! / Und sie gruesste. / Und ein zweiter gruesste, ein Unbekannter. / Und ein Dritter dann= (Gedicht fuer H. H., am 27. Mai 2006).

Text: F.A.Z. vom 30. Mai 2006

Bildmaterial: AP

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12 zu 5 fuer Handke

Wie kam es zum Votum der Heine-Preis-Jury fuer den Dichter? Duesseldorfs Stadtrat koennte die Verleihung verhindern

von Florian Stark

Durch die Verdoppelung der Preissumme auf 50 000 Euro hat die Stadt Duesseldorf ihren Heine-Preis in diesem Jahr zu einer der hoechstdotierten literarischen Auszeichnungen des Landes gemacht. Sie versprach sich, wie sie auf ihrer Homepage vermerkt, von der Verleihung der Auszeichnung am 13. Dezember =den wuerdigen Abschluss der Feierlichkeiten anlaesslich des 150. Todesjahres von Heinrich Heine=. Nachdem die Jury den Preis nun mit einer unueberhoerbar politischen Begruendung Peter Handke zusprach, scheint es zur Zeit aber unsicher zu sein, ob die Verleihungsfeier tatsaechlich stattfindet. Wegen des von bizarren oeffentlichen AEusserungen begleiteten Eintretens Handkes fuer das nationalistische serbische Regime Slobodan Milosevics wird die Preisvergabe scharf kritisiert und dem Rat der Stadt Duesseldorf nahe gelegt, der Jury-Entscheidung die notwendige politische Bestaetigung bei seiner entsprechenden Sitzung am 22. Juni zu verweigern.

Allerdings waren Politiker Duesseldorfs an der Entscheidung durchaus beteiligt. Der Jury gehoerten nach Angaben der Stadt Oberbuergermeister Joachim Erwin (CDU), Buergermeister Dirk Elbers (CDU), der Vorsitzende des Kulturausschusses Friedrich Conzen (CDU) und dessen Stellvertreterin Margit von Ahlefeld (Gruene) an. Diese politischen Jury-Mitglieder verfuegten allerdings nur ueber je eine Stimme. Je zwei Stimmen hatten die Fachjuroren: die Literaturkritikerin Sigrid Loeffler, die Historiker Julius H. Schoeps und Christoph Stoelzl, der Literaturwissenschaftler Jean-Pierre Lefèbvre, die Schriftstellerin Gabriele von Armin (fuer die Heine-Gesellschaft), der Rektor der Duesseldorfer Universitaet Alfons Labisch (Historiker und Mediziner) sowie der nordrhein-westfaelische Kulturstaatssekretaer Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU), der allerdings bei der Jury-Sitzung fehlte. Wegen dieser =in hoechstem Masse unverantwortlichen= Abstinenz, so die Gruenen, haben sie eine Befragung Grosse-Brockhoffs im Landtag angekuendigt.

Nach Informationen der =Westdeutschen Zeitung= waren vor allem Sigrid Loeffler und der Universitaets-Rektor Labisch nachdrueckliche Fuersprecher Handkes. Es sollen in der Jury keine lebhaften Debatten ausgetragen worden sein, sondern recht zuegig drei geheime Wahlgaenge stattgefunden haben, bis ein Ergebnis von 12 zu 5 Stimmen und damit eine Zweidrittel-Mehrheit erreicht war.

Christoph Stoelzl hat in der Zwischenzeit oeffentlich Distanz zur Preis-Entscheidung erkennen lassen: =Handke war nicht mein Kandidat.= Nach Stoelzls Angaben habe sich vor allem Sigrid Loeffler =leidenschaftlich und wortgewaltig= fuer Handke eingesetzt und politische Bedenken gegen den Kandidaten zurueckgewiesen. Das Jury-Mitglied Julius H. Schoeps sagte der WELT: =Ich bin der einzige, der fuer Amos Oz gestimmt hat. Aber was wollen Sie machen, wenn Sie in einer Jury sitzen? Da entscheidet die Mehrheit. Ich haette kein Problem damit, wenn Handke den Preis nicht bekaeme.= Sigrid Loeffler wollte zur Abstimmung der Jury nicht Stellung nehmen. Sie merkt allerdings an, dass sie die Reaktion der Medien an das erinnere, was Elias Canetti die =Konstituierung einer Hetz-Meute= genannt habe.

Die Vorsitzende der FDP-Fraktion im Duesseldorfer Stadtrat Marie-Agnes Strack-Zimmermann schlaegt vor, fuer die entscheidende Abstimmung am 22. Juni den Fraktionszwang aufzuheben. Fuer sie ist klar: =Wer Mord, Vertreibung, Massenfolter und Vergewaltigung relativiert, ist fuer die Auszeichnung nicht denkbar.= Selbst ihr CDU-Amtskollege Dirk Elbers spricht von Irritationen in seiner Fraktion. Gruenen-Fraktionschef Guenter Karen-Jung geht davon aus, dass seine Parteifreunde gegen Handke stimmen werden. Auch SPD-Fraktionschef Guenter Wurm kritisiert die Entscheidung fuer Handke: =Ich kann nicht verstehen, dass die Jury sich politisch so unsensibel verhalten hat.=

Artikel erschienen am Di, 30. Mai 2006

Allerdings waren Politiker Duesseldorfs an der Entscheidung durchaus beteiligt. Der Jury gehoerten nach Angaben der Stadt Oberbuergermeister Joachim Erwin (CDU), Buergermeister Dirk Elbers (CDU), der Vorsitzende des Kulturausschusses Friedrich Conzen (CDU) und dessen Stellvertreterin Margit von Ahlefeld (Gruene) an. Diese politischen Jury-Mitglieder verfuegten allerdings nur ueber je eine Stimme. Je zwei Stimmen hatten die Fachjuroren: die Literaturkritikerin Sigrid Loeffler, die Historiker Julius H. Schoeps und Christoph Stoelzl, der Literaturwissenschaftler Jean-Pierre Lefèbvre, die Schriftstellerin Gabriele von Armin (fuer die Heine-Gesellschaft), der Rektor der Duesseldorfer Universitaet Alfons Labisch (Historiker und Mediziner) sowie der nordrhein-westfaelische Kulturstaatssekretaer Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU), der allerdings bei der Jury-Sitzung fehlte. Wegen dieser =in hoechstem Masse unverantwortlichen= Abstinenz, so die Gruenen, haben sie eine Befragung Grosse-Brockhoffs im Landtag angekuendigt.

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http://www.nzz.ch/2006/05/29/fe/articleE5SZF.html

Ruecksichtslos eigensinnig

Streit um Heine-Preis an Peter Handke

Vielleicht waere das einmal ein Thema fuer eine germanistische Forschungsarbeit: Heinrich Heine und Peter Handke als Geistesverwandte. Zu fuerchten stuende allerdings, dass die Liste der recherchierten Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Poeten nicht allzu lang ausfiele. Eine gewisse, sich zuweilen im spontanen Austeilen von Ohrfeigen aeussernde Reizbarkeit des Gemuets scheinen H & H zu teilen, und auch eine Allergie gegen Plattitueden, die Abscheu vor dem Bourgeois sowie ein antimilitaristischer Geist sind ihnen gemein. Doch dann wird es schwierig. Die himmlische Gabe des Witzes, die den Zorn verschoent und den Schmerz liebenswuerdig macht, diese quecksilbrige Ironie und Boshaftigkeit, mit welcher Heine gesegnet ist, gehoert nicht unbedingt zur Grundausstattung des Pathetikers und Phaenomenologen Handke, dessen Blick die Dinge in das paradoxe Nahverhaeltnis einer auratischen Unmittelbarkeit zu ruecken sucht. Heine hingegen, und darin steckt so viel Gegensatz wie zwischen Duesseldorf und Kaernten, trieb sein Spiel mit Konventionen und hielt sein Ego auf Distanz - in der Lyrik wie in der Politik.

Republikaner contra Nostalgiker

Gut denkbar, dass Peter Handke, Gerechtigkeit fuer die Armen fordernd, die Julirevolution 1830 in Frankreich aehnlich teilnehmend begruesst haette wie der Verfasser der «Briefe aus Helgoland». Abwegig indes die Vorstellung, ein in unsere Gegenwart versetzter Heinrich Heine haette den Despoten Milosevic hoeher geschaetzt als das Haager Tribunal, den serbischen Chauvinisten im Gefaengnis besucht und dem mutmasslichen Massenmoerder am offenen Grab seine Naehe bekundet. Wusste die Jury des Heinrich-Heine-Preises, was sie tat, als sie jetzt Handke die renommierte Auszeichnung zusprach und ihn damit - denn dies ist nicht einfach ein literarischer Preis - als Kaempfer fuer «Voelkerverstaendigung» und humane Grundrechte nobilitierte?

Die Differenzen zwischen dem Republikaner Heine und dem Jugoslawien-Nostalgiker Handke verwischend, fluechtet sich die Jury in ein Lob des Eigensinns, das im zweiten Satz der Begruendung, wohl ungewollt, die ambivalente Seite einer solchen Haltung benennt: «Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale», heisst es da. Eigensinnig ruecksichtslos. Wahrscheinlich gibt es mittlerweile mehr Leute, als Handke recht sein kann, die ihn damit treffend beschrieben sehen.

Verstrickt in Widersprueche

Das Echo auf die Preisvergabe ist verheerend. Politisch leistet sie dem Schriftsteller einen Baerendienst, denn von ueberall werden jetzt wieder anstoessige Zitate hervorgeholt, die Handke als politischen Irrlaeufer ausweisen - darunter auch solche, von denen er sich distanziert hat (wie den Satz, die Serben seien «mehr Opfer als die Juden»). Auch haelt man ihm den Widerspruch vor, dass er noch im vergangenen Jahr ueber den Suhrkamp-Verlag mitteilen liess, «grundsaetzlich keinen Preis mehr» annehmen zu wollen, nun jedoch dem Heine-Preis «mit Freuden» entgegensieht. Es trifft sich, dass dessen Dotierung - mit erstmaliger Wirkung in diesem Jahr - auf 50 000 Euro verdoppelt wurde. Aber man sollte, so scharf und einhellig rundum die Empoerung ist, doch eines nicht vergessen: Nicht Handke, sondern die Jury, die zu Teilen bereits nichts mehr mit der Entscheidung zu tun haben will, hat die Wahl des Preistraegers zu verantworten. Der Berliner «Tagesspiegel» zitiert einen Juror mit dem Eingestaendnis, Sigrid Loeffler habe beharrlich fuer den «Weltliteraten» Handke getrommelt, bis dass die anderen Preisrichter muerbe geworden seien. Auch so kann Eigensinn Triumphe feiern.

Joachim Guentner

.de/kultur/literatur/0,1518,418070, 00.html

NG UEBER LITERATURPREIS

=Handke hat Heine-Preis nicht verdient=

Dass der umstrittene Schriftsteller Peter Handke mit dem Heine-Preis ausgezeichnet wurde, gefaellt europaeischen Politikern gar nicht: Sie empoeren sich ueber seine Naehe zum serbischen Despoten Milosevic. Alice Schwarzer hingegen verteidigte die Entscheidung.

Duesseldorf - Politiker aus Deutschland und der Europaeischen Union haben die Stadt Duesseldorf kritisiert, weil sie dem Schriftsteller Peter Handke den Heine-Preis zuerkannt hat. Der oesterreichische Autor und Dramaturg habe die bedeutendste Auszeichnung der nordrhein-westfaelischen Landeshauptstadt nicht verdient, weil er oeffentlich fuer den serbischen Diktator Slobodan Milosevic Partei ergriffen habe. =Ich halte die Entscheidung fuer sehr problematisch. Man beleidigt damit die vielen Toten=, sagte der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa und ehemalige oesterreichische Vizekanzler Erhard Busek im Gespraech mit der =Rheinischen Post=.

DPA

Peter Handke: Umstrittener Heine-Preistraeger

Auch der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), sowie der Vorsitzende des Kulturausschusses, Hans-Joachim Otto (FDP), aeusserten sich kritisch. Handke habe unbeirrbar seine Naehe zu einem Diktator und zu einem Land, das schwere Menschenrechtsverletzungen begangenen habe, ausgedrueckt.

Das sei eine Belastung. Lediglich die Chefredakteurin der Frauenzeitschrift =Emma=, Alice Schwarzer, verteidigte die Entscheidung der Stadt. =Handkes Mut haette Heine vermutlich beeindruckt=, wird sie zitiert. Die Stadt Duesseldorf hatte die Vergabe des diesjaehrigen Heine- Preises am Dienstag damit begruendet, dass Handke in seinem Werk =eigensinnig wie Heinrich Heine... seinen Weg zu einer offenen Wahrheit= verfolge. Seinen poetischen Blick auf die Welt setze er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung.

Der Heine-Preis ist mit 50.000 Euro einer der hoechstdotierten deutschen Literaturpreise. Er wird seit 1972 an Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen =den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten=.

Handke, der unter anderem =Publikumsbeschimpfung= und =Die Angst des Tormanns beim Elfmeter= veroeffentlichte, ist vor allem seit seiner proserbischen Haltung waehrend des Balkankrieges und seinem Einsatz fuer das serbische Regime umstritten. Die Comédie-Française hatte kuerzlich Handkes Stueck =Spiel vom Fragen= vom Spielplan 2007 genommen, weil der Schriftsteller beim Begraebnis des ehemaligen serbischen Diktators Slobodan Milosevic im Maerz eine Rede gehalten hatte.

Zu den bisherigen Preistraegern gehoerten unter anderem die oesterreichische Literatur-Nobelpreistraegerin Elfriede Jelinek, die Schriftsteller Carl Zuckmayer und Max Frisch, der fruehere Bundespraesident Richard von Weizsaecker, der Liedermacher Wolf Biermann und die =Zeit=-Herausgeberin Marion Graefin Doenhoff.

cpa/ap

Handkes Beschuetzer

Oh je, die Kunst ist in Gefahr: Was der Heine-Preis offenbart

VON INA HARTWIG

Darueber, dass der Intendant der Comedie Française ungeschickt bis fahrlaessig handelte, als er das fuer naechstes Fruehjahr angesetzte Handke-Stueck Das Spiel vom Fragen oder Das sonore Land wieder vom Spielplan nahm, nachdem er eine malizioese Notiz ueber Peter Handkes Teilnahme an der Beerdigung von Slobodan Milosevic gelesen hatte, darueber braucht man nicht zu streiten. Marcel Bozonnet blieb der Einwand denn auch nicht erspart, Handkes Haltung zu Serbien sei doch seit etlichen Jahren sattsam bekannt. Er haette das Stueck gar nicht erst auf den Spielplan setzen duerfen, wenn er der Meinung sei, ein durch seine politischen Einlassungen desavouierter Schriftsteller habe in dem ehrwuerdigen Hause nichts zu suchen. Streiten muss man aber ueber die hoechst fragwuerdigen Folgen, die jene Entscheidung Bozonnets zeitigte, angefangen mit dem Protest sich solidarisierender Schriftstellerkollegen, hier finde =Zensur= statt; und gipfelnd in der Bekanntgabe, dass Peter Handke den angesehenen, mit 50 000 Euro dotierten Heinrich-Heine-Preis der Stadt Duesseldorf erhalten werde.

Es waere naiv zu glauben, das eine - die Solidaritaetsbekundung von Schriftstellerkollegen, darunter der geschaetzten Elfriede Jelinek - habe mit dem anderen - dem Heine-Preis - nichts zu tun.

Literatur versus Spleen

Wann immer Peter Handke in den letzten Jahren ein Literaturpreis zugesprochen wurde, der Blaue-Salon-Preis oder der Siegfried-Unseld-Preis, da wurde die literarische Leistung des Autors betont und dessen abwegiger Serbien-Komplex diskret uebergangen. Diesmal ist es anders. Handkes literarische Leistungen werden direkt mit seinem politischen Spleen verquickt, dieser allerdings nicht als solcher kenntlich gemacht. In der Begruendung der Jury heisst es, seinen =poetischen Blick auf die Welt= setze Handke =ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung.= Im uebrigen verfolge Handke =eigensinnig wie Heine= den Weg zu einer =offenen Wahrheit=. Wenn hier ein Wort treffend gewaehlt wurde, dann das Adverb =ruecksichtslos=. Der Rest ist Klitterung.

=Der Autor koennte die Heine-Summe doch jenen darbenden Serben spenden, von denen er so haeufig spricht=, polemisiert die Balkan-Expertin Caroline Fetscher im gestrigen Tagesspiegel. Und in der Welt meint Hans Christoph Buch, Handkes =politischer Amoklauf=, sein =megalomaner Geltungsdrang=, wuerden von der Duesseldorfer Jury offenbar =mit Mut verwechselt=. Inzwischen haben sich sogar einige Jury-Mitglieder von der Wahl Handkes distanziert; sie seien von der Jurorin Sigrid Loeffler in die Enge getrieben worden. Eine Jury, die nicht einmal nach aussen geschlossen zu ihrer Entscheidung steht, wie peinlich, wie peinvoll.

Kuenstlerselbstrettungsaktion

Wichtiger aber ist die Frage: Warum lassen sich ausgerechnet so exzeptionelle Schriftsteller wie Elfriede Jelinek, Patrick Modiano und Josef Winkler auf eine Solidaritaetsadresse fuer Handke ein, obwohl zu ihren Gunsten doch anzunehmen ist, dass sie ueber die befremdlichen Worte und Taten ihres Kollegen Bescheid wissen? Koennen sie wirklich gutheissen, was Handke am Grab Milosevics gesagt hat, eines Mannes immerhin, der vor einem internationalen Strafgericht der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt war? =Ich kenne die Wahrheit nicht. Aber ich schaue. Ich hoere zu. Ich fuehle mit. Ich erinnere mich. Deshalb bin ich heute hier, an der Seite Jugoslawiens, an der Seite Serbiens, an der Seite Slobodan Milosevics.=

Diese Selbstbeweihraeucherung Handkes muesste doch auch eine Jelinek, einen Modiano und einen Winkler befremden, um nur diese drei zu nennen. Doch wird im Gegenteil der Kuenstler von den Kuenstlern blind in Schutz genommen, nur weil ein selbstgefaelliger Pariser Intendant sich unmoeglich gemacht hat. Im Kern geht es den Unterzeichnern offenbar um die schoene, ergreifende Phantasie, die Kunst sei in Gefahr und muesse heroisch verteidigt werden. Handke wirft ja sogar den ihm verhassten westlichen Medien einen Mangel an Poesie vor. In diesem einen Punkt ist Marcel Bozonnet zuzustimmen: Handke betreibt =Desinformation=. Dass der oesterreichische Schriftsteller, der sich gerade in juengster Zeit ueber enthusiastische Rezensionen seiner Buecher (auch in der FR) nicht beklagen kann, =boykottiert und zensiert= werde, wie es in jener Solidaritaetsadresse heisst, ist eine alberne Behauptung. Unlaengst war Handke im frueheren Jugoslawien mit dem Bus unterwegs. Der Bus wurde in einen Unfall verwickelt. ueber die Ticker lief die Meldung, der Schriftsteller sei unverletzt. Das ist es: Ihm passiert einfach nichts. Er bekommt nur bedeutende Preise.

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Im Herbst der Worte

Handke erntet Widerspruch

VON MARTINA MEISTER

Er nennt es den =Fruehling der Worte=. Das Ende der verbalen Kriegstreiberei. Peter Handke hofft, so bringt er es in einem Gastbeitrag in der franzoesischen Zeitung Liberation zum Ausdruck, dass ausgeloest durch die Debatte um die Absetzung seines Stueckes an der Comedie Française endlich =anders= gesprochen werde. Dass =ueberhaupt gesprochen= werde, ueber das, was er immer noch =Jugoslawien= nennt. Das Gebell, an dem er sich selbst beteiligt hat, soll also aufhoeren. Er sieht eine Bresche in die Sprache geschlagen. Man darf uebersetzen: Wir Journalisten, Verwalter und Einpeitscher des Hasses, Schlammfedern und Giftschlammschmeisser, koennten endlich zu ihm finden.

Derweil spaltet sich die oeffentlichkeit weiter: Nach dem Manifest, mit dem Elfriede Jelinek und andere die Zensur des Intendanten und die =systematische aechtung= Handkes in Frankreich kritisierten, haben sich 150 Kuenstler und Intellektuelle dem Regisseur Olivier Py angeschlossen, der den Intendanten der Comedie Française, Marcel Bazonnet, unterstuetzt: =Die Meinungsfreiheit zwingt keinen Theaterdirektor, kriminellen Ideologien Raum zu geben, die der Demokratie und den Menschenrechten zuwider laufen.=

Handke sagte, am Grab von Milosevics, er wisse die Wahrheit nicht. Er schaue, er hoere, er fuehle. Er fuehle sich nah: =nah an Jugoslawien, nah an Serbien, nah an Slobodan Milosevic.= Diese Naehe ist auch eine Form von Wahrheit. Handkes wortlose Wahrheit des Koerpers. Sein Beitrag =Sprechen wir endlich ueber Jugoslawien= ist ein Plaedoyer fuer sie. Er will entschuldigen: Die Serben seien nicht die allein Schuldigen.

Handke hat Recht. Und Unrecht zugleich. Er hat Recht, wenn er Licht auf vergessenes Leid lenken will, weil die Scheinwerfer der Geschichte auf anderes scheinen. Weil oft an das Massaker von Srebrenica erinnert wird, selten an das von Kravica. Unrecht hat er, wenn er unterschlaegt, dass in Srebrenica nicht 80, sondern 8000 Menschen starben.

Handke wuerde die Algebra des Krieges natuerlich verweigern. Aber genau diese wendet er selbst an: Er will die Schuld des Henkers erleichtern, indem er das Gewicht anderer Verbrechen mit in die Waagschale wirft. Handke will vor allem die Sprache reinigen: Er moechte, dass wir die Worte Revisionismus, Apartheid und Blutdiktatur in diesem Zusammenhang aus unserem Vokabular streichen und dass wir nicht laenger als Konzentrationslager bezeichnen, was er =untolerierbare Lager= nennt.

Wir wuerden ihm, dem Dichter, gern den Gefallen tun, weil er ein grosser Sprachzauberer ist. Aber wir koennen dem Propagandisten unmoeglich Recht geben. Wir weigern uns falsche Wahrheiten durch noch falschere zu ersetzen. =Hoeren wir auf=, fordert Handke, =Slobodan Milosevic mit Adolf Hitler zu vergleichen.= Nennen wir ihn beim Namen: Milosevic war ein Kriegsverbrecher. Auch wenn das der traurige Herbst der Worte waere. Welk, aber wahr.

Zu Herrn Spiegel's Artikel ueber die Heine Preis Verleihung an Peter Handke moechte ich nur bemerken, dass Handke nie etwas verleugnet hat, aber ehrlich genug war in der WINTERLICHEN REISE zuzugeben den Impuls zum Verneinen zu haben. Ausserdem scheint er sich zu weigern immer mit der selben Sprache in die selbe Kerbe zu hacken. Ob der schlimme Milo eine tragische historische Figur war/ ist, bin ich nicht in der Lage zu beurteilen: dafuer war die westliche Berichterstattung, besonders in der USA, viel zu oberflaechlich, um nur dieses unter vielen anderen Schimpfwoertern zu benutzen. Es scheint, dass kein Schwein, nicht mal sogennante Literaten noch lesen koennen ausser dass ihr ueberschwang an Selbstgerechtigkeit und angebliches Mitgefuehl fuer die Opfer ihnen die eigene Scheuklappen fabriziert. Was einen stoeren koennte, waere Handke's Exhibitionismus, aber haetten er den nicht samt Ambition gebe es auch nicht das wahrhaft grosse Werk. 's a Skandal, das Leben. Die Gabriele von Arnim, der angeheiraten Kousine, mit der muss ich mal darueber naeher mich unterhalten. Dass der Vollidiot Reich-Ranicki sich im selben Spiegel spiegelt wir Hubert Spiegel, wundert mich kaum.

MICHAEL ROLOFF

auserkoren, den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu erhalten, als ein Autor, der „eigensinnig wie Heinrich Heine= den „Weg zu einer offenen Wahrheit= verfolge, da er „den poetischen Blick auf die Welt (...) ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale= setze. Ja, es geht um denselben Handke, der kuerzlich in Serbien am Grab des Massenmoerders Milosevic verkuendete, er fuehle sich „ihm nah=. Serbische Intellektuelle erschraken. Gewiss sei der fruehe Handke, so der serbische Schriftsteller Bora Cosic, ein bedeutender Dichter gewesen, politisch habe sich der Autor jedoch fuerchterlich verirrt, als er „ohne Vorbehalt das arrogante, faschistische Regime von Milosevics Serbien unterstuetzte=. Nach Handkes Auftritt am Grab nahm die Pariser Comedie Française im April sein Drama „Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land= aus dem Spielplan fuer 2007.

Nun also Duesseldorf. Den Heine-Preis erhalten seit 1972 „Persoenlichkeiten, die den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten=, darunter Carl Zuckmayer, Max Frisch und Elfriede Jelinek. Unlaengst stockte man das Preisgeld von 25000 Euro auf 50 000 auf – Steuergelder, die in Handkes Tasche fliessen sollen. Wie kommt so etwas zustande? 17 Autorendossiers lagen der Jury vor, der neben Sigrid Loeffler auch Julius Schoeps, Christoph Stoelzl, Gabriele von Arnim und hochrangige Vertreter der Stadt angehoeren. Die gruene Duesseldorfer Ratsfrau Marit von Ahlefeld erklaert jetzt: „Ich stehe nicht hinter dem Entschluss, meine Kandidatin war Irene Dische.= Ungluecklich ist auch Schoeps: „Mir ging es um Amos Oz.= Viele scheinen sich auf der Sitzung ueberfahren oder ueberfordert gefuehlt zu haben. Reumuetig erklaert ein weiteres Jurymitglied, Loeffler habe Handke mit derart beharrlichem Trommelwirbel als „Weltliterat= gepriesen, bis die anderen muerbe wurden. „Ich selbst verstehe ja wenig von der Materie=, raeumt einer ein. „Was Handke auf der Beerdigung gesagt hat, weiss man doch nicht so genau=, verteidigt sich ein anderer. Wenigstens koenne man ja der Preisverleihung am 13. Dezember fern bleiben, troestet sich ein Jurymitglied.

Handke indes, dessen Kasse ein wenig klamm sein soll, da viele Buchhaendler ihn boykottieren, freut sich ueber den Preis. Vergessen scheint, dass Suhrkamp vor drei Jahren bekannt gab, er werde fortan keine Preise mehr annehmen. Vorschlag zur Guete: Der Autor koennte die Heine-Summe doch jenen darbenden Serben spenden, von denen er so haeufig spricht. Zu analysieren bleibt die zentrale Frage nach dem Ethos deutscher Kultureliten, nach deren Empathieferne oder horrender Nonchalance, auch und gerade, wo es um Macht, Geld und Preise geht. Caroline Fetscher

Preis fuer Peter Handke

Heine wird verhoehnt

Von Hubert Spiegel

26. Mai 2006 Jede Entscheidung einer literarischen Jury ist anfechtbar. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann in aller Regel bestens darueber streiten, ob ein Autor die ihm zugesprochene Auszeichnung verdient oder auch nicht verdient hat, und dieser Streit gehoert zu den ewigen Ritualen des literarischen Lebens. Die Jury, die den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu vergeben hatte, kann diese Routine nicht fuer sich in Anspruch nehmen. Ihre Entscheidung, Peter Handke auszuzeichnen, faellt nicht nur aus dem Rahmen des ueblichen, sie ist unerhoert.

Als unlaengst Marcel Bozonnet, der Direktor der angesehenen Comedie Francaise sich weigerte, Handkes Stueck „Das Spiel vom Fragen= in seinem Haus auf die Buehne zu bringen, sprachen manche Kommentare von einem Akt der Zensur. Mehr als hundert franzoesische Schriftsteller und Intellektuelle sahen das anders und unterstuetzen die Entscheidung des Intendanten in einem offenen Brief. Und von Zensur konnte tatsaechlich keine Rede sein, denn ueber den Spielplan zu entscheiden, ist Recht und Pflicht der Intendanz.

Grundregel des Diskurses verletzt

Das staerkste Argument gegen die von Bozonnet verhaengte Boykottmassnahme, denn um nichts anderes handelt es sich, ist Handkes Stueck selbst: Es hat mit den politischen Ansichten seines Autors zum Balkan-Krieg nichts zu tun. Bozonnet hat denn auch nie behauptet, dass der Inhalt des Stueckes seine Entscheidung beeinflusst habe. Deshalb muss der Intendant sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er eine Grundregel des aesthetischen Diskurses verletzt hat. Die Regel besagt, dass Kunstwerke nicht ohne weiteres fuer die politischen ueberzeugungen ihrer Schoepfer haftbar gemacht werden duerfen.

Bei der Duesseldorfer Entscheidung verhaelt sich die Sache indes vollkommen anders. Denn der Heine-Preis ist keine rein literarische Auszeichnung, und er wird nicht fuer ein literarisches oder poetisches Gesamtwerk vergeben. In der Pressemitteilung der Stadt ist zu lesen: „Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heisst, durch den Rat der Landeshauptstadt Duesseldorf aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes ,Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, fuer die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten'.=

Kurze Begruendung

Will die Jury also allen Ernstes behaupten, Handkes Auftritt am Grab des Massenmoerders Milosevic habe der Voelkerverstaendigung gedient? Verbreitet die Schamlosigkeit, mit der Handke die serbischen Verbrechen beschoenigt und die ethnischen Saeuberungen geleugnet hat, die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen? Die Begruendung der Jury ist kurz, zwei Saetze sind es nur: „Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Handke hat Milosevic als „Opfer der Geschichte= bezeichnet und, wie Bernhard-Henri Levy juengst in Erinnerung gerufen hat, das Leid der Serben fuer groesser erklaert „als jenes der Juden in der Nazizeit=. Sieht so Eigensinn in der Tradition Heines aus?

Marcel Reich-Ranicki ist nicht dieser Ansicht: „Die Auszeichnung Peter Handkes mit dem Heine-Preis ist eine empoerende Beleidigung und Verhoehnung des Dichters Heine=, sagte der Literaturkritiker im Gespraech. Die Publizistin Alice Schwarzer hat erklaert, sie glaube, dass Handkes Mut Heine „vermutlich imponiert= haette.

Teile der Jury distanzieren sich

Diese Spekulation ist wohlfeil. Die Einschaetzung der Jury-Entscheidung darf nicht an den toten Heine delegiert werden, es muessen sich schon die Zeitgenossen der Unbequemlichkeit unterziehen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass Politiker wie der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Konrad Busek, oder der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Bundestag die Vergabe eines Literaturpreises kommentieren, ist ebenso ungewoehnlich wie der Umstand, dass sich Teile der Jury, der neben Vertretern der Stadt Duesseldorf unter anderen Sigrid Loeffler, Julius H. Schoeps, Christoph Stoelzl und Gabriele von Arnim angehoeren, bereits von der Entscheidung ihres Gremiums distanziert haben. Offen wird darueber gesprochen, dass sechzehn andere Kandidaten zur Wahl gestanden haetten, darunter Amos Oz und Irene Dische. Laut Berliner „Tagesspiegel= erwaegt ein Jurymitglied, der Preisverleihung im Dezember fernzubleiben.

Niemand will den Schriftsteller Peter Handke aechten, seine Stuecke sollen gespielt, seine Buecher sollen gedruckt und diskutiert werden. All das ist selbstverstaendlich und muss es bleiben. Aber die Duesseldorfer Entscheidung ist verstoerend in ihrer blinden Lust an der Provokation. Sie wird den Heine-Preis nachhaltig beschaedigen.

Text: F.A.Z., 27.05.2006, Nr. 122 / Seite 33

Bildmaterial: AP

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Duesseldorf/Wien - Der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Exvizekanzler Erhard

Busek (oeVP), kritisierte die Stadt Duesseldorf, die am Dienstag bekannt

gegeben hatte, Peter Handke mit dem Heine-Preis (mit 50.000 Euro zaehlt er zu

den drei hoechstdotierten deutschen Literaturpreisen) auszuzeichnen: =Ich

halte die Entscheidung fuer sehr problematisch. Man beleidigt damit die

vielen Toten=, so Busek gegenueber der Rheinischen Post.

Auch der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Deutschen Bundestag,

Ruprecht Polenz (CDU), sowie der Vorsitzende des Kulturausschusses,

Hans-Joachim Otto (FDP), aeusserten sich kritisch. Emma-Chefredakteurin Alice

Schwarzer hingegen verteidigte die Entscheidung: =Handkes Mut haette Heine

vermutlich beeindruckt.= Sie spielte damit auf die Begruendung der Jury an,

die gemeint hatte, Handke verfolge eigensinnig wie Heinrich Heine den Weg zu

einer =offenen Wahrheit= und setze seinen poetischen Blick auf die Welt

ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung. (trenk, APA /DER STANDARD,

Print-Ausgabe, 26.5.2006)

http://derstandard.at/?id=2456875

Grossbildjaeger

Peter Handke und Frankreichs Geist

Von Hans-Dieter Schuett

Frankreich hat offenbar keine Lust mehr auf seinen Ruf als Korporation des Ideenschutzes. Die Ideologen duerfen nun schon die Comédie-Française dominieren – jenes Theater, dessen Geschichte doch in besonderer Weise fuer das hohe Gesetz der gallisch ausgepraegten Intelligenz steht: Geist geht vor Gesinnung.

Die Pariser Buehne bleibt dabei: Ein Peter Handke, der zur Beerdigung Milosevics auftrat, gehoert nicht ins Repertoire. Inzwischen haben Elfriede Jelinek und andere Kuenstler Partei fuer den oesterreichischen Dichter ergriffen. Der hatte in den letzten Tagen noch einmal bekraeftigt: Er schaue, er hoere, er fuehle, und zwar »nah an Serbien« – dessen Bewohner er seit Jahren mit den vielleicht wortkraeftigen, aber doch machtlosen Mitteln eines Schreibenden verteidigen wolle. Gegen jene »aufgeregten Horden aus der Ferne«, Berichterstatter, Korrespondenten, Grossbildjaeger, »die ihre Aufgabe zu schildern, verwechselt haben mit der Rolle eines Richters, ja, gelegentlich der eines Demagogen«. Er sei nicht »fuer Serbien«, aber »mit den Serben«.

Europaeische Kuenstler wie Nizon, Haneke oder Kusturica, solidarisch mit Handke, kommen indes ins Staunen: UEber hundert franzoesische Intellektuelle unterzeichneten eine Liste: »Das Recht, Nein zu sagen«, eine plakative Unterstuetzung fuer den Chef der Comédie-Française – blanker Protektionismus fuer eine Zensur-Massnahme, die nicht zwischen Werk und Person des Autors unterscheiden will. Das Verbot, Handke aufzufuehren (ein Werk, gegen das man explizit nichts einzuweden hat!), muss als Versuch gewertet werden, einen Autor seiner Freiheit zur Meinung zu berauben, ihn als Buerger mundtot zu machen und seine Dichtung dafuer buessen zu lassen, dass er auf Umstrittenheit beharrt. Der kulturpolitische Schock ist so gross, dass Frankreichs Kulturminister den Dramatiker und seinen UEbersetzer zum Gespraech empfing und sich als Vermittler anbot.

Noch einmal hat Handke in der »Le Monde« zitiert, was er bei der Beerdigung Milosevics gesagt bhatte: »Ich kenne die Wahrheit auch nicht. Aber ich schaue. Ich begreife. Ich empfinde. Ich erinnere mich. Ich frage. Eben deshalb bin ich heute hier zugegen.«

»Das Spiel vom Fragen« heisst das Stueck, das die Comédie-Française nicht spielen will.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=90371&IDC=

Heilige Allianz

Auch Gao Xinjang unterschrieb die Petition

11. Mai 2006

Am vergangenen Sonntag wurden Peter Handke und sein UEbersetzer vom franzoesischen Kulturminister empfangen. Schon zuvor hatte Renaud Donnedieu de Vabres deutlich gemacht, dass er die Absetzung des Stuecks „Spiel vom Fragen= fuer falsch halte, und dies auch dem Leiter der „Comedie Francaise=, Marcel Bozonnet, mitgeteilt. Der Minister bot in einem Brief an, als Vermittler aufzutreten.

Lange hatte es gedauert, bis in Frankreich ueberhaupt bemerkt wurde, dass Handke am Begraebnis von Milosevic teilgenommen hatte. Erst eine kleine und spaete Meldung in der Rubrik „Sifflets= (Ausgepfiffen) des „Nouvel Observateur=, in der Handke als „Revisionist= bezeichnet wurde, veranlasste Bozonnet, Handke vom Spielplan zu streichen.

Gegen die Absetzung protestierten nur wenige

Die Antwort Handkes hat das Magazin nie veroeffentlicht, vor ein paar Tagen interviewte ihn „Le Monde=, gestern druckte nun „Liberation= seine Replik. Sie enthaelt nichts Neues und auch nichts Skandaloeses. Handke kritisiert die historischen Gleichsetzungen mit Hitler und wehrt sich gegen den Vorwurf, die Verbrechen der Serben zu leugnen. Die franzoesischen Intellektuellen verstaerken derweil ihre Unterstuetzung fuer Bozonnet. Der bedeutende Dramatiker Olivier Py hat sich bereits fuer die Zensurmassnahme ausgesprochen.

Am Mittwoch wurde in Paris eine Liste mit den Namen von mehr als hundert Intellektuellen veroeffentlicht. „Das Recht, nein zu sagen= ist sie betitelt - eine euphemistische Formulierung, die kaschieren soll, dass mit dem Aufruf ein Akt der Zensur gerechtfertigt wird. Theaterdirektoren, Festivalleiter, Dramatiker und Schriftsteller haben ihn unterschrieben: von Ariane Mnouchkine bis Helene Cixous. Auch der in Paris lebende chinesische Nobelpreistraeger fuer Literatur, Gao Xinjang, ist vertreten. Gegen die Absetzung des „Spiels vom Fragen= protestierten zuvor nur wenige: der Schweizer Paul Nizon, die ebenfalls in Frankreich lebende Schriftstellerin Anne Weber, der Franzose Patrick Modiano, ein Aussenseiter der intellektuellen Szene, der sich kaum je in Debatten einmischt (siehe auch: Solidaritaet mit Peter Handke).

Die Reaktion der franzoesischen Kulturschaffenden erweckt den Eindruck einer heiligen Allianz, die ueber alle Differenzen hinweg gebildet wird. Auch die sehr starke „proserbische Fraktion=, die wie Handke argumentiert, unterstuetzt ihn bislang ueberhaupt nicht. Dass die franzoesische Kultur im Zweifelsfall so protektionistisch reagiert wie die Industrie in UEbernahmeschlachten, ist nicht neu. Waehrend der Karikaturen-Affaere wurde Voltaire mobilisiert und seine Kritik des Fanatismus und aller Religionen erwaehnt. Dass der Aufklaerer die Meinungsfreiheit auch fuer Andersdenkende forderte, hat im Zusammenhang mit der Handke-Affaere noch keiner gesagt.

Text: J. A./F.A.Z., 11.05.2006, Nr. 109 / Seite 44

Bildmaterial: AP

Handke

Was ich nicht sagte

Von Peter Handke

Moechte wieder gelesen werden: Peter Handke

29. Mai 2006

Den Kommentar in der F.A.Z. zur Verleihung des Heinrich-Heine-Preises (siehe auch FAZ.NET-Spezial: Handke und der Heine-Preis) benutze ich, einige Richtigstellungen zu den der Zeitung unterlaufenen Irrtuemern zu versuchen - im Bewusstsein (und aus der Erfahrung), dass jede einzelne meiner Berichtigungen wieder eine Mehr- oder Unzahl neuer und anderweitiger Irrtuemer (hm) ausloesen wird.

1. Ich habe nie eins der Masaker in den Jugoslawienkriegen 1991-95 geleugnet, oder abgeschwaecht, oder verharmlost, oder gar gebilligt.

2. Nirgendwo bei mir kann man lesen, ich haette Slobodan Milosevic als „ein= oder „das Opfer= bezeichnet.

3. Richtig ist: Anlaesslich des okzidentalen Diktats gegen Jugoslawien von Rambouillet, im Februar 1999, habe ich mich, wie die Welt seit damals weiss, vor der Kamera des Belgrader Fernsehens verhaspelt, wobei herauskam, in meinem Franzoesisch, die Serben seien noch groessere Opfer als die Juden - was ich dann, nachdem ich, unglaeubig, das Band mit dem von mir produzierten Un-Sinn angehoert hatte, schleunigst schriftlich korrigierte: Text, seinerzeit von „Focus= veroeffentlicht und von der F.A.Z. Wort fuer Wort, einmal ohne Kommentar, umgehend nachgedruckt.

Phantom-Titel: Wilder Mann

Ein P.S. noch fuer eine mir und vielleicht auch diesem oder jenem Leser wichtige letzte (versuchte) Berichtigung: Vor kurzem, wiederum in der F.A.Z., in einer der wie gewohnt geistvollen, hochherzigen und einfuehlsamen Glossen des Theatersachverstaendigen der Zeitung, die meine Person oder meinen Phantom-Titel „Der wilde Mann= zum Vorwurf nahm (P.H., borniert, Kitschier, Befuerworter von Kriminellen et cetera), war auch von meinem Stueck „Die Fahrt im Einbaum= die Rede, worin ich angeblich das serbische Volk als eines schildere oder gar preise, welches Europa das Essen mit Messer und Gabel beigebracht habe, und ueberhaupt die Kultur. Richtig ist wieder, dass in dem Stueck (Seite 65) eine Figur sagt: „Dabei waren wir es, die euch jahrhundertelang die asiatischen Horden ferngehalten haben. Und ohne uns wuerdet ihr immer noch mit den Fingern fressen. Wer war es, der in die westliche Welt Messer und Gabel eingefuehrt hat?= Nur: ist es noetig zu sagen, dass es sich hier um eine Parodie handelt? Noetig anzufuehren jedenfalls der Rollenname jener kleinen Figur: „IRRER=.

Und in diesem Sinne wuensche ich, dass all meine (6) Aufzeichnungen, Erzaehlungen, Berichte, Stuecke der letzten fuenfzehn Jahre zu Jugoslawien Wort fuer Wort gelesen wuerden, und anders sachverstaendig: „Abschied des Traeumers vom neunten Land= (1991), „Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina= (1996), „Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise= (1996), „Die Fahrt im Einbaum oder Das Stueck zum Film vom Krieg= (1999), „Unter Traenen fragend= (1999) (alle bei Suhrkamp), und zuletzt „Die Tablas von Daimiel=, Juni 2005 („Literaturen=). Mir duenkt, mich beduenkt, fuer diese Schriften ist der Heinrich-Heine-Preis. Es gibt noch Buecher zu lesen jenseits der Zeitungen.

„Ah, die alte Frau dort, meine Leserin, / die einzige, die mich noch gruesst? / Und wenn sie mich nicht gruesst? / Was fuer ein Abenteuer! / Und sie gruesste. / Und ein zweiter gruesste, ein Unbekannter. / Und ein Dritter dann= (Gedicht fuer H. H., am 27. Mai 2006).

Text: F.A.Z. vom 30. Mai 2006

Bildmaterial: AP

Peter Handke answers widespread criticism of his being awarded the

Heinrich Heine Prize, making clear =what he did not say.= Die Welt

rallies to Handke's defence, pointing the finger at ex-foreign

minister Joschka Fischer and Germany's self-satisfied debate of

consensus. Mirka Wagner's sweet hysteria is all that's good in =The

Golden Cockerel= in Berlin. And Benedict XVI struggles to find the

right words at Auschwitz and comes over a tad too excusatory.

http://signandsight.com/intodaysfeuilletons/781.html

Saetze jenseits der Zurechnungsfaehigkeit

Kippt die Entscheidung, Peter Handke den Heine-Preis zu geben? Der Streit um den oesterreichischen Schriftsteller eskaliert

von Uwe Wittstock

Peter Handke

Foto: dpa

Wenn Peter Handkes Theaterstueck =Spiel vom Fragen= von der Comédie Française wegen Handkes Engagement fuer Serbien vom Spielplan gestrichen wird, ist das ein Skandal. Wenn Handke nun aber mit ausdruecklichem Hinweis auf dieses politische Engagement der Heine-Preis zugesprochen wird, ist das ebenfalls ein Skandal - und zugleich ein Symptom.

Um mit Frankreich zu beginnen: Dass sich Handke seit Beginn der Jugoslawienkriege zu einem unbelehrbaren Verteidiger des nationalistischen Regimes Slobodan Milosevics entwickelt hat, sorgt seit ueber einem Jahrzehnt fuer Aufregung im Kulturbetrieb. Marcel Bozonnet, der Chef der Comédie Française konnte, nein: musste davon wissen, bevor er das schon 1989 geschriebene und also vom Krieg in Jugoslawien unberuehrte =Spiel vom Fragen= auf den Spielplan seines Hauses nahm. Wenn Bozonnet das Stueck absetzt, nachdem er verspaetet von der Teilnahme Handkes an der Beerdigung Milosevics erfuhr, spricht das nicht nur dafuer, dass er auffaellig schlecht informiert ist, sondern vor allem dafuer, dass er politische und literarische Argumente durcheinander bringt. Duerften nur Autoren auf die Buehne gebracht werden, die sich zeitlebens politisch unbedenklich geaeussert haben, koennten die Theater mangels auffuehrbarer Werke gleich schliessen.

Der Heine-Preis wurde Handke nun aber nicht trotz, sondern wegen seiner politischen Positionen zuerkannt. Die Begruendung der Jury lobt ihn nicht mit Blick auf seine Literatur, sondern weil er =seinen Weg zu einer offenen Wahrheit= eigensinnig verfolge und er seinen poetischen Blick auf die Welt =ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale= setze. Damit feiert die Jury Handke ausdruecklich fuer seine politischen Auftritte und Thesen, die man - milde formuliert - als verquast und bizarr bezeichnen muss.

Um an ein Beispiel von vielen zu erinnern: Als die Nato 1999 Bombenangriffe auf Serbien flog, da sie einen Voelkermord im Kosovo befuerchtete, kommentierte Handke das in einem Interview: =Gut, jetzt hat die Nato ein neues Auschwitz erreicht.= Auf die Gegenfrage, er koenne doch Luftangriffe auf militaerische Ziele nicht mit einem Vernichtungslager der Nazis gleichsetzen, beharrte er: =Damals waren es Gashaehne und Genickschussanlagen; heute sind es Computer-Killer aus 5000 Meter Hoehe=. Das sind Saetze ohne jedes Mass und jenseits jeder politischen Zurechnungsfaehigkeit. Wenn eine Jury solche Verirrungen jetzt nachtraeglich mit dem Heine-Preis praemiert, ist das unverantwortlich.

Es ist unverantwortlich - und zugleich ein Symptom. Denn Handke gehoert, wie er einst programmatisch betonte, zu den =Bewohnern des Elfenbeinturms= und versteht sich letztlich gar nicht als politischer Schriftsteller. Selbst grosse Verehrer seiner Kunst raetseln, wie er sich in seine blinde Milosevic-Verehrung hineinsteigern konnte. Im Grunde ist Handke ein spaeter Nachfahre der Romantik, dem jedes Nuetzlichkeitsdenken, jeder Materialismus, ja jede rationale Aufklaerung zutiefst suspekt ist. Er betrachtet sich als Poet, der in seiner Dichtung ein vormodernes, in mythischen, quasi-religioesen Gewissheiten geborgenes Lebensgefuehl zu rekonstruieren versucht.

Versunken in dieses Projekt einer literarischen Remythisierung der Welt, verwechselt Handke Serbien offenbar mit dem Land seiner romantischen Traeume. Das =Volk der Serben= lebt fuer ihn in einer heilen, von der Zerrissenheit der Moderne unberuehrten Zeit. Der aggressive Nationalismus Milosevics nahm sich in seinen Augen aus wie der Kampf einer archaischen, friedfertigen Bauernschaft um die Selbstbehauptung ihrer Kultur gegen den Terror eines dekadenten, technizistischen Westens. Um die demokratische Opposition Serbiens scherte Handke sich bei all dem einen Dreck und identifizierte Milosevic schliesslich so sehr mit dem Land, dass er auf dessen Beerdigung behauptete, er stehe =an der Seite Jugoslawiens, an der Seite Serbiens, an der Seite Slobodan Milosevics=. Zu Beginn des Krieges war er noch klueger, da sagte er: =Ich bin mit dem serbischen Volk, nicht mit Milosevic.=

Nun ist es keine UEberraschung, dass Romantiker, sobald sie ihre hochfliegenden Ideen umstandslos mit politischen Zielen kurzschliessen, zu hanebuechenen, ja lebensgefaehrlichen Handlungen neigen. In der deutschen Geschichte gibt es mehr als ein Beispiel dafuer, wie falsch verstandener, realitaetsblinder Romantizismus einer brutalen Machtpolitik in die Haende spielt. Gerade deshalb deprimiert die Entscheidung, Handke den Heine-Preis fuer seine politische Wirrkoepfigkeit zuzusprechen. Offenbar ist auch im Literaturbetrieb manch einer noch immer nicht geheilt von der Neigung, in Elfenbeinturm-Bewohnern die besseren Weltenlenker zu sehen, denen sie selbst dann noch begeistert auf ihrem =Weg zu einer offenen Wahrheit= folgen moechten, wenn diese sich im eklatanten Widerspruch zu den politischen Tatsachen befinden.

Inzwischen melden sich immer mehr Kritiker der Jury zu Wort, die dem Duesseldorfer Stadtrat empfehlen die Preisverleihung zu verhindern. Mehrere Jurymitglieder haben sich bereits von der Wahl distanziert. Der Stadtrat muss die Jury-Entscheidung noch bestaetigen und SPD, Gruenen und FDP, die zusammen die Mehrheit stellen, wenden sich heftig gegen die Wahl Handkes. Allerdings wuerde ein solcher Beschluss der Stadtpolitiker - wie bereits die Entscheidung der Comédie Française das =Spiel vom Fragen= abzusetzen - Handke wieder in die Rolle des Verfolgten und Maertyrers bringen. Die Situation ist gruendlich verfahren. Vielleicht waere es ein Ausweg, die Jury - der unter anderem Gabriele von Arnim, Sigrid Loeffler, Julius H. Schoeps und Christoph Stoelzl angehoeren - dazu zu bewegen, in einer ueberarbeiteten Begruendung nachdruecklich klarzustellen, dass der Heine-Preis dem Schriftsteller Handke und eben nicht seinen abwegigen politischen Positionen gilt.

Artikel erschienen am Mo, 29. Mai 2006

Preis fuer Peter Handke

Heine wird verhoehnt

Von Hubert Spiegel

26. Mai 2006 Jede Entscheidung einer literarischen Jury ist anfechtbar. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann in aller Regel bestens darueber streiten, ob ein Autor die ihm zugesprochene Auszeichnung verdient oder auch nicht verdient hat, und dieser Streit gehoert zu den ewigen Ritualen des literarischen Lebens. Die Jury, die den Heine-Preis der Stadt Duesseldorf zu vergeben hatte, kann diese Routine nicht fuer sich in Anspruch nehmen. Ihre Entscheidung, Peter Handke auszuzeichnen, faellt nicht nur aus dem Rahmen des UEblichen, sie ist unerhoert.

Als unlaengst Marcel Bozonnet, der Direktor der angesehenen Comedie Francaise sich weigerte, Handkes Stueck „Das Spiel vom Fragen= in seinem Haus auf die Buehne zu bringen, sprachen manche Kommentare von einem Akt der Zensur. Mehr als hundert franzoesische Schriftsteller und Intellektuelle sahen das anders und unterstuetzen die Entscheidung des Intendanten in einem offenen Brief. Und von Zensur konnte tatsaechlich keine Rede sein, denn ueber den Spielplan zu entscheiden, ist Recht und Pflicht der Intendanz.

Grundregel des Diskurses verletzt

Das staerkste Argument gegen die von Bozonnet verhaengte Boykottmassnahme, denn um nichts anderes handelt es sich, ist Handkes Stueck selbst: Es hat mit den politischen Ansichten seines Autors zum Balkan-Krieg nichts zu tun. Bozonnet hat denn auch nie behauptet, dass der Inhalt des Stueckes seine Entscheidung beeinflusst habe. Deshalb muss der Intendant sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er eine Grundregel des aesthetischen Diskurses verletzt hat. Die Regel besagt, dass Kunstwerke nicht ohne weiteres fuer die politischen UEberzeugungen ihrer Schoepfer haftbar gemacht werden duerfen.

Bei der Duesseldorfer Entscheidung verhaelt sich die Sache indes vollkommen anders. Denn der Heine-Preis ist keine rein literarische Auszeichnung, und er wird nicht fuer ein literarisches oder poetisches Gesamtwerk vergeben. In der Pressemitteilung der Stadt ist zu lesen: „Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heisst, durch den Rat der Landeshauptstadt Duesseldorf aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes ,Persoenlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, fuer die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt foerdern, der Voelkerverstaendigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen verbreiten'.=

Kurze Begruendung

Will die Jury also allen Ernstes behaupten, Handkes Auftritt am Grab des Massenmoerders Milosevic habe der Voelkerverstaendigung gedient? Verbreitet die Schamlosigkeit, mit der Handke die serbischen Verbrechen beschoenigt und die ethnischen Saeuberungen geleugnet hat, die Erkenntnis von der Zusammengehoerigkeit aller Menschen? Die Begruendung der Jury ist kurz, zwei Saetze sind es nur: „Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er ruecksichtslos gegen die veroeffentlichte Meinung und deren Rituale.= Handke hat Milosevic als „Opfer der Geschichte= bezeichnet und, wie Bernhard-Henri Levy juengst in Erinnerung gerufen hat, das Leid der Serben fuer groesser erklaert „als jenes der Juden in der Nazizeit=. Sieht so Eigensinn in der Tradition Heines aus?

Marcel Reich-Ranicki ist nicht dieser Ansicht: „Die Auszeichnung Peter Handkes mit dem Heine-Preis ist eine empoerende Beleidigung und Verhoehnung des Dichters Heine=, sagte der Literaturkritiker im Gespraech. Die Publizistin Alice Schwarzer hat erklaert, sie glaube, dass Handkes Mut Heine „vermutlich imponiert= haette.

Teile der Jury distanzieren sich

Diese Spekulation ist wohlfeil. Die Einschaetzung der Jury-Entscheidung darf nicht an den toten Heine delegiert werden, es muessen sich schon die Zeitgenossen der Unbequemlichkeit unterziehen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass Politiker wie der EU-Beauftragte fuer Suedosteuropa, Konrad Busek, oder der Vorsitzende des Auswaertigen Ausschusses im Bundestag die Vergabe eines Literaturpreises kommentieren, ist ebenso ungewoehnlich wie der Umstand, dass sich Teile der Jury, der neben Vertretern der Stadt Duesseldorf unter anderen Sigrid Loeffler, Julius H. Schoeps, Christoph Stoelzl und Gabriele von Arnim angehoeren, bereits von der Entscheidung ihres Gremiums distanziert haben. Offen wird darueber gesprochen, dass sechzehn andere Kandidaten zur Wahl gestanden haetten, darunter Amos Oz und Irene Dische. Laut Berliner „Tagesspiegel= erwaegt ein Jurymitglied, der Preisverleihung im Dezember fernzubleiben.

Niemand will den Schriftsteller Peter Handke aechten, seine Stuecke sollen gespielt, seine Buecher sollen gedruckt und diskutiert werden. All das ist selbstverstaendlich und muss es bleiben. Aber die Duesseldorfer Entscheidung ist verstoerend in ihrer blinden Lust an der Provokation. Sie wird den Heine-Preis nachhaltig beschaedigen.

Text: F.A.Z., 27.05.2006, Nr. 122 / Seite 33

Bildmaterial: AP

Auch Gao Xinjang unterschrieb die Petition

11. Mai 2006

Am vergangenen Sonntag wurden Peter Handke und sein UEbersetzer vom franzoesischen Kulturminister empfangen. Schon zuvor hatte Renaud Donnedieu de Vabres deutlich gemacht, dass er die Absetzung des Stuecks „Spiel vom Fragen= fuer falsch halte, und dies auch dem Leiter der „Comedie Francaise=, Marcel Bozonnet, mitgeteilt. Der Minister bot in einem Brief an, als Vermittler aufzutreten.

Lange hatte es gedauert, bis in Frankreich ueberhaupt bemerkt wurde, dass Handke am Begraebnis von Milosevic teilgenommen hatte. Erst eine kleine und spaete Meldung in der Rubrik „Sifflets= (Ausgepfiffen) des „Nouvel Observateur=, in der Handke als „Revisionist= bezeichnet wurde, veranlasste Bozonnet, Handke vom Spielplan zu streichen.

Gegen die Absetzung protestierten nur wenige

Die Antwort Handkes hat das Magazin nie veroeffentlicht, vor ein paar Tagen interviewte ihn „Le Monde=, gestern druckte nun „Liberation= seine Replik. Sie enthaelt nichts Neues und auch nichts Skandaloeses. Handke kritisiert die historischen Gleichsetzungen mit Hitler und wehrt sich gegen den Vorwurf, die Verbrechen der Serben zu leugnen. Die franzoesischen Intellektuellen verstaerken derweil ihre Unterstuetzung fuer Bozonnet. Der bedeutende Dramatiker Olivier Py hat sich bereits fuer die Zensurmassnahme ausgesprochen.

Am Mittwoch wurde in Paris eine Liste mit den Namen von mehr als hundert Intellektuellen veroeffentlicht. „Das Recht, nein zu sagen= ist sie betitelt - eine euphemistische Formulierung, die kaschieren soll, dass mit dem Aufruf ein Akt der Zensur gerechtfertigt wird. Theaterdirektoren, Festivalleiter, Dramatiker und Schriftsteller haben ihn unterschrieben: von Ariane Mnouchkine bis Helene Cixous. Auch der in Paris lebende chinesische Nobelpreistraeger fuer Literatur, Gao Xinjang, ist vertreten. Gegen die Absetzung des „Spiels vom Fragen= protestierten zuvor nur wenige: der Schweizer Paul Nizon, die ebenfalls in Frankreich lebende Schriftstellerin Anne Weber, der Franzose Patrick Modiano, ein Aussenseiter der intellektuellen Szene, der sich kaum je in Debatten einmischt (siehe auch: Solidaritaet mit Peter Handke).

Die Reaktion der franzoesischen Kulturschaffenden erweckt den Eindruck einer heiligen Allianz, die ueber alle Differenzen hinweg gebildet wird. Auch die sehr starke „proserbische Fraktion=, die wie Handke argumentiert, unterstuetzt ihn bislang ueberhaupt nicht. Dass die franzoesische Kultur im Zweifelsfall so protektionistisch reagiert wie die Industrie in UEbernahmeschlachten, ist nicht neu. Waehrend der Karikaturen-Affaere wurde Voltaire mobilisiert und seine Kritik des Fanatismus und aller Religionen erwaehnt. Dass der Aufklaerer die Meinungsfreiheit auch fuer Andersdenkende forderte, hat im Zusammenhang mit der Handke-Affaere noch keiner gesagt.

Text: J. A./F.A.Z., 11.05.2006, Nr. 109 / Seite 44

Bildmaterial: AP

Kurzsichtige Jury-Entscheidung? Szene aus Handkes Hamburger „Publikumsbeschimpfung=

29. Mai 2006

Noch ist es mehr als ein halbes Jahr hin bis zur Verleihung des Heine-Preises der Landeshauptstadt Duesseldorf, der in der vergangenen Woche dem oesterreichischen Schriftsteller Peter Handke zugesprochen wurde und traditionsgemaess am 13. Dezember, dem Geburtstag des Dichters, ueberreicht wird. Viel kann bis dahin passieren: Handke koennte sich daran erinnern, dass er, so jedenfalls teilte vor drei Jahren sein Verlag mit, keine Preise mehr annehmen wollte. Oder der Rat der Stadt Duesseldorf koennte sich in seiner Sitzung am 22. Juni weigern, das Votum der Jury zu bestaetigen.

Was normalerweise nur eine Formsache ist, erscheint in diesem Fall nicht mehr als sicher. Am Ort, so berichtete die „Rheinische Post= am Samstag, trifft die Ehrung Handkes auf Vorbehalte, Empoerung und heftige Kritik. Vertreter von SPD, Gruenen und FDP, die im Stadtparlament die Mehrheit haben, wollen die Entscheidung nicht akzeptieren, und das, wie sie betonen, ausschliesslich wegen Handkes Naehe zum verstorbenen serbischen Praesidenten Milosevic.

Die Sorge waechst

Sollten sie sich durchsetzen und die Vergabe rueckgaengig machen, waere das auch eine Ohrfeige fuer den medienbewussten Oberbuergermeister Joachim Erwin (CDU), der sich wuenscht, dass - so zitiert ihn die Zeitung - „die Preisverleihung eine Debatte darueber entfache, welche Rolle der vom Haager Gerichtshof nicht verurteilte Milosevic im Balkan-Krieg gespielt hat=. Diese Diskussion aber muss nicht mehr erst in Gang gesetzt werden, und in Duesseldorf waechst eher die Sorge, dass die Wahl Handkes den Preis und das Ansehen der Stadt beschaedigen koennte.

Wie das Blatt weiter berichtet, erwaege das Stadtoberhaupt, das urspruenglich Marcel Reich-Ranicki oder den in Duesseldorf geborenen Dieter Forte vorgeschlagen habe, eine etwaige Ablehnung Handkes durch den Rat als Akt der Zensur zu bewerten, da die Jury ausdruecklich als unabhaengig eingerichtet worden sei: „Erwin plaediert dafuer, Handke am 13. Dezember bei der Verleihung seine Rede halten zu lassen.=

Es war eine tief gespaltene Jury

Fuer Irritationen sorgt in der Landeshauptstadt auch das Verhalten von Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU), dem Staatssekretaer fuer Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen und frueheren Kulturdezernenten der Stadt, der an der Jury-Sitzung nicht teilgenommen, aber auch keinen Vertreter geschickt hat. Fuer die Staatskanzlei, die Grosse-Brockhoff leitet, sei die Entscheidung, so heisst es, „einfach nicht nachvollziehbar=, da der Preis nicht nur das literarische Wirken, sondern auch die politische Haltung wuerdige. Dieser Doppelcharakter der mit fuenfzigtausend Euro dotierten Auszeichnung scheint anderen fuehrenden Politikern des Landes gar nicht bekannt zu sein: So wird Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) mit der Meinung zitiert, die Preisverleihung sei angemessener fuer eine demokratische Gesellschaft, „als wenn ein Schriftsteller wegen politischer AEusserungen von der Buehne abgesetzt wird, wie in Frankreich geschehen=.

„Es war eine tief gespaltene Jury.= Mit dieser Mitteilung trug Christoph Stoelzl, der ihr mit Sigrid Loeffler, Julius H. Schoeps, Jean-Pierre Lefebvre, Gabriele von Arnim, dem Universitaetsrektor Alfons Labisch sowie Vertretern der Stadt angehoert, im Gespraech mit dem „Koelner Stadt-Anzeiger= die Differenzen im Gremiums nach aussen. Darin bezeichnet er sich als „nicht sachkundig genug=, um Handkes „antizyklische= politische Position definitiv beurteilen zu koennen. Die allgemeinen Defizite an historischen Kenntnissen rieten zur „Vorsicht bei der Verteilung von Gut und Boese=, so der Gruendungsdirektor des Deutschen Historischen Museums, habe es in der westlichen OEffentlichkeit waehrend des Jugoslawien-Krieges doch eine „Wahrnehmungsungenauigkeit= gegeben. „Sicher kann es sein, dass Handke sich irrt=, so gibt die Zeitung Stoelzl wieder, doch auch in diesem Fall bleibe Handke „ein grosser Dichter=, zu dessen Werk die Politik eine nahezu „unsichtbare Begleiterscheinung= sei.

Handke war nicht mein Kandidat

Niemand wisse, so Stoelzl schliesslich, was Handke auf der Beerdigung von Milosevic wirklich gesagt habe. „Jetzt ist er gehalten, Flagge zu zeigen=, fordert der ehemalige Berliner Kultursenator von Handke nach der von ihm mitverantworteten Preiszuerkennung, als haette es der Dichter in seinen AEusserungen zu Serbien in den vergangenen Jahren an Eindeutigkeit fehlen lassen.

Mit dieser tut sich Stoelzl selbst nicht ganz leicht: „Zum eigenen Stimmverhalten=, so der „Koelner Stadt-Anzeiger= am Samstag, „machte der Juror keine Angaben.= Im Deutschlandradio Kultur erklaerte Stoelzl inzwischen: „Handke war nicht mein Kandidat.=

Text: F.A.Z., 29.05.2006, Nr. 123 / Seite 37

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Grosse-Brockhoff: Die Jury hielt Vorgaben nicht ein

01. Juni 2006

Nach dem Eklat um Peter Handke wird es nach Ansicht von Nordrhein-Westfalens Kulturstaatssekretaer Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU) in diesem Jahr keinen Traeger des Heinrich-Heine-Preises geben.

Weder werde Handke, dem die Auszeichnung von einer Jury am 20. Mai zugesprochen worden war, die Auszeichnung erhalten, noch werde sie neu vergeben, sagte er am Donnerstag im Deutschlandradio Kultur. Die Parteien im Duesseldorfer Rathaus wollen die Entscheidung der Jury fuer Handke nicht bestaetigen.

Keine Entscheidung hat es in der Sitzung des Duesseldorfer Kulturausschusses am Donnerstag gegeben. Statt dessen einigten sich die Ratsvertreter auf eine Denk- und Besinnungspause. Es habe noch keine ernsthafte Debatte um den Autor Handke gegeben, meinte Kulturdezernent Hans-Georg Lohe. Nach seinen Angaben ist auch offen, ob es am 22. Juni wie geplant ein Veto der Ratsfraktionen geben wird. „Das muss noch mit dem Oberbuergermeister abgestimmt werden.=

„Unwuerdiges Schauspiel=

Das Pen-Zentrum Deutschland kritisierte unterdessen die Debatte um die Vergabe des Heine-Preises als „unwuerdiges Schauspiel=. Der Autorenverband warf dem Stadtrat vor, sich in die Entscheidung einer unabhaengigen Jury einzumischen, die von der Stadt selbst berufen worden sei. „Wer eine Jury bestellt, sollte ihre Entscheidungen auch dann hinnehmen, wenn sie ihm nicht passen=, sagte Generalsekretaer des Pen-Zentrums Deutschland, Wilfried F. Schoeller in Darmstadt.

Dagegen verteidigte Grosse-Brockhoff das geplante Veto des Duesseldorfer Stadtrats gegen die Preisverleihung an Handke. Es sei das „gute Recht= der Ratsfraktionen, die notwendige Bestaetigung zu verweigern. Die Jury habe die „ganz klaren Vorgaben= der Preisbestimmungen nicht eingehalten. Da der Preis noch gar nicht anerkannt worden sei, koenne auch von einer Aberkennung der Auszeichnung keine Rede sein. Der Staatssekretaer ist Mitglied der Preis-Jury. Bei der entscheidenden Sitzung hatte er allerdings gefehlt.

Bei den Tatsachen bleiben

Handke hat sich am Donnerstag in der „Sueddeutsche Zeitung= zur Wehr gesetzt. In dem Zeitungsbeitrag bezeichnete er das serbische Massaker an Muslimen im Juli 1995 in Srebrenica als das „schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde=. Zugleich forderte er, bei den Tatsachen des Buergerkriegs im ehemaligen Jugoslawien zu bleiben. Es habe nicht nur bosno-serbische Gefangenenlager gegeben, sondern auch kroatische und muslimische Lager. Mit der „blindlings= und „mechanisch= erfolgenden Schuldzuweisung an die Serben sollte aufgehoert werden.

Verwundert zeigt sich Handke auch ueber den erneut erhobenen Vorwurf der Holocaust-Relativierung. Seinen kritisierten Satz, „die Serben sind noch groessere Opfer als die Juden=, habe er 1999 sofort korrigiert. Damals sei seine Richtigstellung akzeptiert worden. „Warum jetzt nicht mehr?=. NRW-Ministerpraesident Juergen Ruettgers (CDU) hatte Handke am Mittwoch als „fuer den Heine-Preis nicht preiswuerdig= bezeichnet, weil der Schriftsteller den Holocaust relativiere.

Text: FAZ.NET mit Material von dpa

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Der Fall Handke: Rufmord statt Kritik

Von Frank Schirrmacher

Peter Handke will wieder verstanden werden

01. Juni 2006

Hat man die Pressemeldung des Duesseldorfer Oberbuergermeisters Erwin gesehen, in der Handke als Heine-Preistraeger gefeiert wurde? Die UEberschrift lautete: „Die Nachricht ging von Moskau nach Paris=, und zwar deshalb, weil Herr Erwin weltmaennisch in Moskau weilte, als er Peter Handke in Paris zum Preis gratulierte. Herr Erwin hat sich sein Interieur zwei Tage lang mit Handke und Heine tapeziert, dann kam die Kritik, und jetzt werden die Tapeten wieder abgeschabt.

Der Vorgang ist so ungeheuerlich, so ruecksichtslos, dass es einem schon den Atem verschlagen kann, gleich, wie man zum Interieur des Peter Handke steht. Politik, die bekanntlich zu Revision, Ruecknahme, Korrektur immer weniger und in eigenen Angelegenheiten nie faehig ist, exekutiert das Prinzip Ruecknahme nun am schwaechsten aller Glieder dieser kontinentalen Nachrichtenkette, an dem eigenen Worten zufolge sich selbst immer mehr verwirrenden Dichter Peter Handke.

Eine literarisch-moralische Frage

Hat Peter Handke den Heine-Preis verdient? Das ist eine literarisch-moralische Frage, die von einer Jury entschieden und von der literarisch-politischen OEffentlichkeit diskutiert werden kann. Hubert Spiegel hat ernste Argumente dafuer angefuehrt, warum der Preis an Handke den Dichter Heine verhoehnt, und viele Leser und Kritiker geben ihm recht (siehe auch: FAZ.NET-Spezial: Handke und der Heine-Preis).

Die aktuelle Frage aber lautet: Soll Peter Handke den Heine-Preis in Empfang nehmen duerfen? Das ist eine reine Machtfrage. Bekommt er ihn nicht, nachdem die Entscheidung der Jury gefallen ist, dann waeren literarische Preise in Deutschland der Willkuer ausgeliefert, dem Rufmord, wie er seit den Zeiten des „anonimo romano= bis heute gepflegt wird. Einen wie auch immer Umstrittenen zu ehren, um dann, ohne dass irgendein neues Ereignis eingetreten waere, ihn oeffentlich fuer unwuerdig zu erklaeren, ist die ultimative Form sozialer Demontage. Sie macht den Literaturkritiker zum Buettel der Politik, weil sein Einwand gegen Handke nun durch Einmischung der Politik wirkt wie der denunziatorische Ruf nach der Polizei.

Der Vertreter des Landes blieb fern

Wer eigentlich kam auf die - mit Verlaub - schlichtweg toerichte Idee, dass nach der Zuerkennung des Preises der Rat der Stadt, mithin die Politik, dies noch „bestaetigen= muss, mithin dem Jury-Votum noch ein politischer Prozess folgt? In der Jury des Heine-Preises befanden sich Vertreter von zwei der vier Ratsfraktionen, die jetzt die Verleihung annullieren wollen, die CDU hatte sogar zwei Abgesandte plus den Oberbuergermeister, die Gruenen eine Vertreterin (die gegen Handke votierte), fuenfter Vertreter der Stadt war der Kulturdezernent. Der Vertreter des Landes (und ehemalige Kulturdezernent der Stadt), Staatskanzleichef Grosse-Brockhoff, blieb der Sitzung fern.

Welches Verantwortungsgefuehl hatten eigentlich diese Leute, die jetzt ueber die Verantwortung des Dichters schwadronieren, aber immerhin ueber 50.000 Euro, Heine und die Kultur zu beraten hatten? Was ist das fuer eine Jury, deren Mitglieder offen erklaeren, die Texte nicht zu kennen, deren Urheber sie auszeichnet? Und ueberdies: Was fuer eine duerftige Begruendung, wenn man dem Preis schon einem Umstrittenen verleiht. Das mindeste und wichtigste waere gewesen, die Muehe, die man sich mit der Lektuere nicht gab, der Preisbegruendung zuzuwenden. Politik kann und darf keine Machtentscheidung darueber treffen, ob Handkes Werk der Voelkerverstaendigung dient oder nicht - sie kann es diskutieren, aber sie kann keinen Parlamentsbeschluss herbeifuehren, der de facto einen von ihren eigenen Vertretern mitgewaehlten Preistraeger fuer unwuerdig erklaert.

Zunehmend verzweifelte Statements

Waehrend die Politik mit sorgenvoll-genuesslicher Miene sich fragt, ob sie es verantworten kann, einen Dichter zu ehren, obwohl wir diese Verantwortung ihr gerne abnehmen wuerden, klingen die Statements von Handke zunehmend verzweifelter; er bemueht sich um eindeutige Aussagen, aber gerade solche kann er nicht, wollte er nie machen. Er wirkt wie ein Mensch, der nach einem schrecklichen Unfall muehsam sprechen lernt - und dass er so ist, dass Handke so sonderbar und eigentuemlich ist, haette diese Jury wissen muessen. Sie hatte eine Verantwortung uebernommen, aus der sie sich nun nicht herausstehlen kann. Wer die Jury nicht verliess, als die Entscheidung fiel, muss diese nun vertreten, auch wenn er anderer Meinung war.

Und Handke? Jedem neu eintretenden Literaturredakteur pflegte Marcel Reich-Ranicki die gleiche Handke-Anekdote zu erzaehlen. Ende der siebziger Jahre waren die Beziehungen zwischen ihm und Handke auf dem Tiefpunkt angelangt. Briefe, welche der Kritiker an den Dichter richtete, kamen postwendend zurueck. „Und doch=, so Reich-Ranicki sehr gedehnt, „ich konnte mit meiner Lupe deutlich erkennen, dass er die Briefe geoeffnet und gelesen hatte.=

So ist Handke seit Jahrzehnten mit der Welt umgegangen: Er suggeriert, unerreichbar zu sein, oeffnet jedoch alles auf der Suche nach Botschaft, liest jede Zeile, die ihm gilt, verschliesst dann alles wieder, schickt die Woerter als unbrauchbar in Originalverpackung dem Absender zurueck, so wie andere Leute kaputte Kaffeemaschinen zuruecksenden, und schreibt an der Parallelsprache. Diesen Abwehrkampf an den Eingangstueren seiner Welt hat er jetzt verloren. Zum erstenmal, so scheint es, will er wieder verstanden werden. Das zu tun ist die Aufgabe seiner Leser. Nicht die der Politik.

Text: F.A.Z., 02.06.2006, Nr. 127 / Seite 33

Bildmaterial: F.A.Z.-Wonge Bergmann

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Botho Strauss: Was bleibt von Handke?

FAZ.NET-Spezial : Handke und der Heine-Preis

http://www.faz.net/s/Rub1ACB5FA960AE4ABC9F25EBE71F71E372/Doc~E81EAD6B1BC2644BDBB66F5D89B32F08A~ATpl~Ecommon~Sspezial.html

Letzter Auftritt? Handke in Salzburg

18. Juni 2003

Der oesterreichische Schriftsteller Peter Handke will nie mehr oeffentlich auftreten. In seiner Dankesrede zur Verleihung der Ehrendoktorwuerde der Universitaet Salzburg sagte Handke am Mittwoch: „Das ist das letzte Mal, dass ich mein Idiotentum oeffentlich zeige.=

In der Antike haetten die Idioten abseits der Stadt gelebt. Heute stuenden dagegen viele Idioten in der OEffentlichkeit. Er wolle nicht laenger ein Idiot sein und niemals wieder in der OEffentlichkeit auftreten.

Die philosophische Fakultaet der Universitaet Salzburg verlieh dem erfolgreichen Autor das Ehrendoktorat fuer seine Verdienste um die Wissenschaft und Kunst. Der Salzburger Germanist Adolf Haslinger bezeichnete Handke in seiner Laudatio als einen Schriftsteller, der einen neuen Blick auf die Dinge fordere. Seine Erzaehlkunst schaffe neue Zusammenhaenge auf Grund tiefer innerer Erlebnisse. Unscheinbares, Kleines, Nebensaechlichkeiten erschienen bei Handke in neuer Form und Gestalt.

Handke hatte von 1979 bis 1987 in Salzburg gelebt und dort Werke wie „Nachmittag eines Schriftstellers= und „Die Abwesenheit= verfasst. Der Autor schloss seine Dankesrede mit den Worten: „Ab jetzt koennt ihr mich vor Gericht bringen, wenn ich noch einmal im Leben oeffentlich auftreten soll.=



 
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